Manager von Großkonzernen sind Opportunisten. Was gerade opportun scheint, wird gemacht. Vergleichsweise lang strebt der Vorstand des Thyssen-Krupp-Konzern schon die Loslösung vom ehemaligen Kerngeschäft an. Die Stahlsparte, genannt „Steel Europe“, sollte in ein Gemeinschaftsunternehmen eingebracht werden, bei dem der Partner die Mehrheit hat. Der Partner ist das zweitgrößte Stahlunternehmen der Welt, Tata Steel. Die Firma ist Teil des größten und ältesten Familienkonzerns in Indien mit Sitz in Mumbai. In Europa hat Tata bisher die Stahlwerke in Britannien und den Niederlanden aufgekauft und ist damit nach Arcelor-Mittal (ebenfalls ein Unternehmen in indischer Hand) auch auf diesem Kontinent das zweitgrößte Unternehmen.
Seit Monaten verhandelt die Thyssen-Krupp-Führung über die Zusammenführung der Stahlwerke. Ähnlich lang schon protestiert die Belegschaft, immerhin 27000 Beschäftigte. Sie hat von Fusionen nichts als Rationalisierungs- und Entlassungswellen zu befürchten. Es gehört zum Konzept von Tata, Stahlwerke relativ billig einzukaufen, dann einen Teil davon stillzulegen und dann bei hoher Auslastung eine schöne, satte Rendite auf das relativ geringe eingesetzte Kapital zu erzielen. Keine schönen Aussichten für die Stahlwerker.
Am vergangenen Donnerstag stellte der Finanzvorstand von Thyssen-Krupp, Guido Kerkhoff, die Ergebnisse des 3. Quartals im laufenden Geschäftsjahr vor, das von Oktober bis September läuft. Erstaunlich daran war, dass die ungeliebte und traditionsreiche Stahlsparte eine beträchtliche Umsatz- und Gewinnsteigerung verzeichnete. Die Stahlpreise hätten sich erholt, hieß es zur Erläuterung. Wird der Verkauf an Tata jetzt abgesagt? Nicht doch. Im schönen Managerdeutsch erläuterte Kerkhoff die Vorteile: „Die Konsolidierung bietet allen Beteiligten mehr als Stand-Alone-Lösungen.“ Die Fusion werde sorgfältig geprüft, sagte er. Qualität gehe vor Zeit. Ein sehr schöner Spruch, der vermutlich andeuten soll, dass man sich über den Preis noch nicht einig ist. Steigende Stahlpreise erhöhen auch den Preis von Stahlwerken.
Einig sind sich Tata und Thyssen-Krupp darin, dass die Pensionsverpflichtungen für die britischen Stahlwerker aus der Bilanz der künftigen Tata-Thyssen-Steel entfernt werden müssen. So verfahren schließlich alle erfolgreichen Unternehmen. Bahn, Post und Telekom sind schließlich ohne die Ansprüche der Pensionäre ganz schlank in den privaten Wettbewerb geschickt worden. Warum soll es mit den Betriebsrenten der alten „British Steel“ anders gehen? Erst wenn dabei eine befriedigende Regelung (zum Nutzen der beiden Stahlfirmen und zu Lasten des britischen Staates) gefunden sei, werde die Fusion vollzogen, hatte Thyssen-Krupp-Boss Heinrich Hiesinger immer wieder betont.
Am Freitag war es so weit. Die Nachrichtenagenturen meldeten aus London, eine Einigung sei erzielt. Tata werde 550 Mio. Pfund an den Pensionsfonds zahlen, der die Rentenansprüche von 130 000 ehemaligen und heutigen Stahlwerkern in der Gesamthöhe von 15 Mrd. Pfund übernimmt. Wunderbare Aussichten. Hiesingers Vision eines reinen „Technologiekonzerns“, ganz ohne den schmutzigen Stahl, kann Wirklichkeit werden. Die Herren an der Spitze können sich allerdings auch verkalkulieren. Die Gewinnrechnung für das dritte Quartal, von der oben die Rede war, enthielt Hinweise darauf. So mussten 900 Mio. Euro auf die Fehlinvestition in ein Stahlwerk in Brasilien abgeschrieben werden, was den gesamten Quartalsabschluss in die Miesen drückte. Ein Rückschlag ist auch die in Israel eingeleitete Untersuchung zum Kauf von drei U-Booten. Ansonsten verdient die Rüstungssparte des Konzerns sehr gut, die die „Technologie“ ja erst so richtig profitabel macht.