Boris Johnson will alles riskieren – aber wofür?

Brexit ohne Exit?

Von Uli Brockmeyer

Britannien, so scheint es, befindet sich in einer ausweglosen Situation. Kaum jemand erinnert sich noch daran, dass bei einer Volksbefragung am 23. Juni 2016 eine knappe Mehrheit von 51,89 Prozent der Teilnehmer sich für einen Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union ausgesprochen hatte. Seitdem torkelt das einstige britische Imperium von einer Regierungskrise in die andere.

Auslöser der ganzen Geschichte war der damalige Premierminister David Cameron, der sich anschließend recht schnell aus der aktiven Politik verdrückte. Eigentlich wollte der Premier – ganz nach dem Vorbild der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher, die Britannien vom Mai 1979 bis November 1990 regierte – mit dem Referendum etwas Druck auf die EU-Kommission aufbauen, um etwas bessere Karten beim Poker um gewisse Sonderrechte zu bekommen. Niemand im Umkreis des Regierungschefs hatte offensichtlich damit gerechnet, dass die Briten, die der EU überdrüssig geworden oder grundsätzlich gegen dieses imperialistische staatenähnliche Konstrukt eingestellt waren, in der Mehrheit sein würden. Somit hatte auch niemand einen „Plan B“ im Schreibtisch – und das Chaos nahm seinen Lauf.

Nach einigem Durcheinander übernahm Theresa May die Diensträume in Number 10, Downing Street. Sie hatte zuvor als Innenministerin eine harte Hand bewiesen und fühlte sich offenbar wie eine Reinkarnation der „Eisernen Lady“. Das Problem war nur, dass auch sie kein Konzept für das Verlassen der EU aufweisen konnte. Bei den langwierigen Verhandlungen mit der EU-Kommission wurde immer deutlicher, dass ein Brexit nur wenige Probleme lösen, dafür aber etliche neue aufwerfen würde. Der letztlich mit Brüssel ausgehandelte Vertrag fand im heimischen London nur sehr wenig Gegenliebe.

Die EU-Kommission tat ihr Übriges, um den Briten den Austritt so stark wie möglich zu versalzen. Hier geht es schließlich nicht „nur“ um den Verlust einer relativ starken Volkswirtschaft und eines seit Jahren erprobten Finanzplatzes. Aus Sicht der EU-Führung geht es vor allem darum, anderen Austrittswilligen in jedem beliebigen Mitgliedstaat so deutlich wie möglich die Instrumente zu zeigen und damit weitere Exit-Bewegungen im Keim zu ersticken.

In London wurden derweil Wetten über Frau May abgeschlossen – nicht etwa darüber, ob sie den Brexit durchsetzen würde, sondern eher über die Frage, wann sie das Handtuch wirft. Zudem stand ein Nachfolger hufescharrend in den Startlöchern, der den Brexit mit Brachialgewalt durchsetzen oder aber „tot im Graben liegen“ will. Boris Johnson ist als Politiker eine Miniaturausgabe des US-Präsidenten, der nicht mit politischen Konzepten regiert, sondern eher nach dem, was ihm gerade in den Sinn kommt. Er ist bereit, so ziemlich alles zu riskieren, nur weiß niemand so recht, wofür eigentlich.

Inzwischen sind bisherige politische Fronten aufgebrochen, der Streit über Bleiben oder Aus-der-EU-Austreten zieht sich durch alle etablierten Parteien. Längst ist klar, dass auch Neuwahlen keineswegs zu mehr Klarheit über einen möglichen Ausgang des Dramas führen werden. Immer mehr Zeichen deuten darauf hin, dass nur ein zweites Referendum den Willen des Volkes deutlich machen würde. Allerdings findet sich im Moment niemand, der eine erneute Volksbefragung initiieren möchte. Und ob sich danach jemand findet, der das Ergebnis, ganz gleich wie es ausfallen würde, umsetzen könnte, ist genauso fraglich. Klar ist nur: Innerhalb dieses Systems gibt es keinen Ausweg.

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"Brexit ohne Exit?", UZ vom 13. September 2019



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