Eine Antwort auf den Artikel „Als es keine Brandmauer gab“ – Teil 2

„Brandmauer“ oder Antifaschismus?

In der Zeitschrift „antifa“, deren Herausgeber der Bundesausschuss der VVN-BdA ist, erschien im Juli der Artikel „Als es keine Brandmauer gab“. Autorin ist die Referentin für Geschichts- und Erinnerungspolitik der VVN-BdA, Maxi Schneider. Sie unterstellt darin, dass „Querfront-Ambitionen vor dem Hintergrund des Kriegs Russlands gegen die Ukraine bei manchen der traditionell im linken Spektrum zu verortenden Akteure anschlussfähig zu sein scheinen“. Genannt werden von Schneider mehrfach die DKP und ihre Zeitung „Unsere Zeit“. Der Vorsitzende der DKP, Patrik Köbele, wandte sich an die Redaktion der „antifa“ mit der Bitte, Positionen richtigstellen zu können, da die Autorin „eine Um-Schreibung der Geschichte des antifaschistischen Kampfes“ vornehme und die Positionen der DKP verdrehe. Diese Möglichkeit wurde nicht eingeräumt. Deshalb veröffentlichen wir an dieser Stelle den zweiten Teil der Antwort, die sich mit den Vorwürfen gegen die DKP auseinandersetzt. Am 1. September beschäftigte sich Erik Höhne mit den historischen Einschätzungen Schneiders.

Maxi Schneider stellt in ihrem Artikel „Überlegungen zu historischen Fehlern und drohenden Wiederholungen“ an. Ihr Ausgangspunkt ist das Gespenst der „Querfront“, das durch die politische Debatte spukt. „Während der Corona-Pandemie und anlässlich des russischen Einmarsches in die Ukraine fanden politische Gruppen und soziopolitische Milieus zusammen, von denen man mehr Abstand zueinander erwarten würde.“

Alte Vorwürfe

Ganz gezielt und verstärkt seit 2014 wird mit dem Querfront-Vorwurf Politik gemacht. Zur Erinnerung: Anfang 2014 wurde mit tatkräftiger Hilfe faschistischer Organisationen die gewählte Regierung der Ukraine weggeputscht. Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, damals Außenminister, unterstützte diesen Putsch und hatte keine Probleme, auf Fotos mit Faschisten zu posieren. Auch etliche „Grüne“ machten Schnappschüsse mit Nazis. In Teilen der deutschen „Linken“ wurde der Putsch ebenfalls begrüßt. Mit den militärischen Angriffen der ukrainischen Putschregierung gegen die Antifaschisten in der Ost-ukraine spitzte sich die Lage zu. Als Reaktion darauf wurde auf der Krim eine Volksabstimmung über den Beitritt zur Russischen Föderation initiiert, die große Zustimmung fand. Auch die Menschen in Donezk und Lugansk stimmten für ihre Unabhängigkeit – die Antwort aus Kiew war die Ausweitung des Krieges. Westliche Regierungen unterstützten die Putschisten, schoben die Schuld Russland zu und begannen den Wirtschaftskrieg gegen „Putin“. Im Februar 2022 trat auch die Russische Föderation in den Krieg. Heute handelt es sich im Wesen um einen Krieg der NATO gegen Russland. Der Westen ringt mit allen Mitteln um seine Vorherrschaft in der Welt.

In Deutschland gingen 2014 Menschen gegen diesen Krieg auf die Straße, die vorher nichts mit der Friedensbewegung am Hut hatten. Diese tat sich vielerorts schwer – mit den neuen Akteuren, die aus politisch anderem Umfeld kamen, wie mit den Angriffen aus den eigenen Reihen. Vor allem aus Teilen der Partei „Die Linke“ wurden Rufe laut, die Friedensbewegung müsse sich vom „autoritären Putin-Regime“ distanzieren.

Bürgerliche Ideologien

Ein ideologisches Konstrukt für die Angriffe lieferten die „Antideutschen“. Geprägt wurde die Bezeichnung Anfang der 1990er Jahre von Jürgen Elsässer, heute Chefredakteur der Zeitung „Compact“ und Hauptakteur der Versuche, die Friedensbewegung von rechts zu vereinnahmen. „Antideutsche“ unterstellen „den Deutschen“ einen besonderen Hang zu Nationalismus, Rassismus und Faschismus – und vor allem zum Antisemitismus. Deshalb müsse man gegen Antisemitismus und für den Staat Israel kämpfen – und da die USA an der Seite Israels stünden, sei ihre Politik zu unterstützen. Die „Antideutschen“ verteidigten regelmäßig die imperialistischen Kriege der USA und der NATO. Immer mehr wurde in diesen Zusammenhängen, deren ideologische Akteure an Universitäten lehren oder als Journalisten tätig sind, die Verteidigung der „Demokratie“ gegen „autoritäre Regime“ zum Thema gemacht.

Die „antideutsche“ Ideologie ist sehr kompatibel mit Universitätsdebatten wie der „diskurspolitischen“. Diese beschäftigt sich nicht mehr mit materiellen Grundlagen und deren Widerspiegelung im Bewusstsein der Menschen, sondern stellt die Wirklichkeit wieder auf den Kopf: Die politische Debatte wird zur zentralen Ebene der Auseinandersetzung erklärt. In dieser Vorstellung ohne materielle Interessen, Klassen und Klassenkampf geht es nicht um die Beseitigung von Armut, sondern um die Beseitigung von Diskriminierung aufgrund von Armut.

Kampf um Begriffe

Schneider wundert sich in ihrem Artikel denn auch über den „Verfassungsschutz“: „Antifaschismus als Wert an sich – unabhängig von sonstigen weltanschaulichen Anliegen und Zielen“ komme in dessen Logik nicht vor – eben jenes Inlandsgeheimdienstes, der in den 1990er Jahren Naziorganisationen finanzierte, aus denen der Thüringer Heimatschutz hervorging, die Brutstätte des „NSU“. Mit dem will Schneider über „Antifaschismus als Wert“ diskutieren? Die VVN-BdA-Ehrenvorsitzende Esther Bejarano wusste: „Wer die Nazis bekämpfen will, kann sich auf diesen Staat nicht verlassen.“

Hat das deutsche Volk Hitler gewählt? Nein, Großindustrie, Großfinanz, Staatsapparat und Presse trieben ihm die Wähler zu – und als diese im Herbst 1931 zu Millionen wieder von ihm abfielen, da schoben sie ihn ins Kanzleramt.

Antifaschismus als Selbstwert gibt es nicht. Alle Antworten auf die Fragen, was Faschismus ist, wo seine Wurzeln liegen und wie er bekämpft werden muss, sind weltanschauliche, politische Aussagen. Ulrich Schneider hat sich in seinem Buch „Antifaschismus“ in der Basiswissen-Reihe des PapyRossa-Verlags dem Problem einer „eigenständigen“ Definition des Antifaschismus gestellt. Er kommt nicht aus ohne den Bezug auf entsprechende Gesellschaftstheorien. Das gilt auch für die Gegenseite: Konservative und Reaktionäre haben ein großes Interesse an „Faschismustheorien“ nach Marke der Extremismus- oder Totalitarismustheorie – nach Erklärungen, die gesellschaftliche Ursachen ausblenden.

Was ist Faschismus?

Die VVN-BdA war immer schon ein weltanschaulich pluralistischer Verband. Ihre große Stärke war ein gemeinsamer Faschismusbegriff, der auf die Gründungsgeneration zurückgeht. Emil Carlebach etwa hat ihn in seinem Buch „Hitler war kein Betriebsunfall“ dargelegt. Aus der geschichtlichen Entwicklung abgeleitet stellt er die gesellschaftlichen Zusammenhänge dar: „Nicht nur der Neonazismus existiert; auch die Tendenzen sind weiter wirksam, die in den dreißiger Jahren dazu führten, dass der Faschismus an die Macht gebracht wurde.“ Reinhard Opitz hat viel zur Vertiefung des Faschismusverständnisses beigetragen.

Der Faschismus resultiert in letzter Instanz aus den Widersprüchen des Monopolkapitalismus – aus den Inte-­ressen der Großkonzerne, Banken und deren Eigentümer. Mit der Entwicklung des Monopolkapitalismus ist die Produktion bereits weitgehend vergesellschaftet und international sind große Teile der Gesellschaft zunehmend in sie eingebunden. Ihre Organisation und die Aneignung der Produkte unterliegen jedoch der Herrschaft der Monopole. In der Produktion – in den Betrieben wie in den Verwaltungen oder Dienstleistungsunternehmen – treffen diese Gegensätze aufeinander: Die Beschäftigten müssen zusammenarbeiten, um ihre Aufgabe zu erfüllen, und stehen dennoch in Konkurrenz untereinander. Ihr Interesse an guter Bezahlung, anständigen Arbeitsbedingungen und lebenswerten Städten und Dörfern widerspricht den Profitinteressen der Monopole. Die Widersprüche zwischen der Arbeiterklasse und den Volksmassen auf der einen und den Monopolherren auf der anderen Seite sind grundsätzlich und unversöhnlich. Hieraus entsteht immer wieder Protestpotenzial – aktuell infolge der Preissteigerungen sowie der Krisen- und Kriegspolitik der Bundesregierung. Was aus dem Potenzial wird, entscheiden die jeweils konkreten Kräfteverhältnisse im Klassenkampf. Im Sommer etwa erregte das „Heizungsgesetz“ die Gemüter. Dabei wurde aus unterschiedlichen Richtungen versucht, auf die Empörung zu reagieren. Eine der wichtigsten Funktionen faschistischer Organisationen in der bürgerlichen Demokratie ist es, dieses Protestpotenzial einzufangen und umzuleiten.

Was ist Antifaschismus?

Die wichtigste antifaschistische Aufgabe ist es, diesem Protestpotenzial eine fortschrittliche Antwort zu ermöglichen, die sich gegen die Angriffe auf die Lebensbedingungen wendet. Zu diesem Kampf gehört, organisierten Faschisten den Zugang zum Protestpotenzial zu verwehren. Das muss allerdings mit solchen Argumenten und Aktionsformen geschehen, die nicht nur negativ die Antwort von rechts ablehnen. Eigenständige, demokratische, also im Interesse der Arbeiterklasse und der Volksmassen stehende Aktivitäten müssen entwickelt werden. Vor dieser Doppelaufgabe stehen die antifaschistische, die Arbeiter- und Gewerkschafts- sowie die gesamte demokratische Bewegung in der Bundesrepublik. An dieser Messlatte müssen wir uns messen lassen.

Keine Abgrenzeritis …

Problematisch an der Orientierung auf eine „Brandmauer“ ist, dass dahinter eine auf die Erscheinungsform des Faschismus reduzierte Faschismustheorie steht. Für Maxi Schneider wird der Faschismus durch die einzelnen Faschisten verursacht. Ähnliche Einschätzungen begründen auch die Kampagnen „Aufstehen gegen Rassismus“ oder „Höcke ist ein Nazi“. Die Bekämpfung der Kriegs- und Krisenpolitik gerät aus dem Blick. Ebenso diejenigen, die von den Auswirkungen dieser Politik betroffen sind und sich entsprechend ihrem Bewusstseinsstand zur Wehr setzen. Unbewusst, aber systematisch wurden mit dieser Linie große Teile des Protestpotenzials den Rechten kampflos überlassen. Zu Corona-Zeiten wurden Ungeimpfte und Kritiker der Regierungsmaßnahmen als „Querdenker“ pauschalisiert und ebenso pauschal bekämpft.

Eine Wiederholung droht in der Frage des Krieges in der Ukraine. Die AfD greift in demagogischer Absicht Ängste in der Bevölkerung auf. Von einer rationalen Erklärung von Krieg und Krise ist sie so weit entfernt wie die anderen Bundestagsparteien auch. Ihre „Russlandfreundlichkeit“ ist der Versuch, die Friedenssehnsucht der Mehrheit in eine Politik der stärkeren Eigenständigkeit des deutschen Imperialismus umzuwandeln. Klar ist: Wer Frieden bei der AfD sucht, wird ebenso beim Krieg landen.

Schneiders „Brandmauer-Antifaschismus“ ist darauf aber keine Antwort. Er erschöpft sich in Oberflächlichkeiten: „Die aktuelle Regierung mit der NS-Diktatur gleichzusetzen ist NS-Relativierung. Das Jahr 2023 hat mit 1933 und Folgendem nichts gemein. Weder die Corona-Maßnahmen noch der aktuelle Bellizismus der Bundesregierung rechtfertigen es, von ‚Faschismus‘ zu sprechen.“

Faschismusvergleiche dieser Art erfreuen sich in weiten Teilen der bürgerlichen Gesellschaft weiter Verbreitung. Sie sind das Futter der „Totalitarismustheorie“ und allerlei in der Öffentlichkeit breitgetretener „Skandale“ und spielten natürlich auch bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen eine unsägliche Rolle. Weder die DKP noch die anderen Organisationen, die Schneider mit dem Querfront-Vorwurf brandmarkt, sprechen im Zusammenhang mit der Bundesregierung von Faschismus. Das bleibt unerwähnt.

Schneiders Faschismusverständnis hat leider genausowenig Tiefgang. Wenn der Faschismus von Höcke und der AfD kommt, wo haben die ihn denn her? Sind das alles geborene Faschisten?

Haben Nazis und Kommunisten gemeinsam die Republik zerstört? Auch dies ist die Unwahrheit. Die Republik wurde zerstört von denen, die auf sie geschworen hatten, denen die Verfassung im Wege stand bei der Vorbereitung von Diktatur und Krieg.

Oder ist das Wesen dieser Gesellschaft nicht doch dem von 1933 gleich? Gibt es nicht eine ungebrochene Kontinuität der Herrschaft der Monopolkonzerne, die sich in den Weltkriegen, im Faschismus und den heutigen Kriegen eine goldene Nase verdienten und immer noch verdienen? Gibt es nicht die Kontinuität von Nazis in Politik, Verwaltung, Justiz und Gesellschaft in der BRD? Das war zumindest lange Zeit Position auch der VVN-BdA.

Schneider scheint auch die bürgerliche Demokratie mit sozialen und demokratischen Rechten zu verwechseln. Nein – die bürgerliche Demokratie ist lediglich eine andere Form der Herrschaft derselben Monopole, die auch im deutschen Faschismus bestimmt haben, wo es langgeht. In der bürgerlichen Demokratie gibt es immer – zumal in Krisenzeiten – die Tendenz zum Abbau demokratischer und sozialer Rechte, womit faschistischen Entwicklungen Vorschub geleistet wird. Wer dem Faschismus entgegentreten will, muss sich also gegen den Demokratie- und Sozialabbau der „demokratischen“ Parteien genauso wehren wie gegen die Demagogie der Faschisten. Das heißt: Selbst Politik zu machen für die Interessen der Bevölkerungsmehrheit und gegen die der Monopole und ihres Staates.

… sondern konkrete Analyse

Dem Einfluss faschistischer Kräfte und reaktionärer Ideologien in der Partei „Die Basis“ oder der „Querdenker-Bewegung“ – aber auch in anderen Bereichen der Gesellschaft – entgegenzutreten ist notwendig. Vereinfachte Erklärungsansätze und individualistisch verzerrte Negation der Angriffe der herrschenden Klasse sind Einfallstore für faschistische Demagogie. Es braucht geduldige Aufklärung derjenigen, die sich gegen die Angriffe der Herrschenden zur Wehr setzen. Das gelingt nur in gemeinsamer Aktion gegen die Kriegstreiber und Sozialabbauer. Der „Kontaktschuld-Vorwurf“ und die Parole „Die Tür nach rechts bleibt zu“ überlassen programmatisch das Protestpotenzial den Faschisten. Das war niemals zuvor der Antifaschismus der VVN-BdA: In einem Bildungsheft des Verbands erklärte Opitz, es sei besonders an den Teilen der Bevölkerung anzusetzen, die sonst für die faschistische Demagogie ansprechbar seien. Die strategische Aufgabe des antifaschistischen Kampfes bestehe „vor allem darin, gerade die faschismusanfälligen Bevölkerungsteile aus ihrem gefährlich weit verfälschten Bewusstseinszustand, der sie faschismusanfällig macht, herauszuführen“.

Ein Kampf für „Heizung, Brot und Frieden“ ist dementsprechend eine sinnvollere antifaschistische Strategie als die Kampagne „Höcke ist ein Nazi“. Wenn schon eine Brandmauer, dann braucht es eine gegen die Angriffe der Herrschenden auf die demokratischen und sozialen Rechte der Mehrheit.

Artikel von Maxi Schneider, „Als es keine Brandmauer gab“
Störer aus: Emil Carlebach: „Hitler war kein Betriebsunfall“

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"„Brandmauer“ oder Antifaschismus?", UZ vom 15. September 2023



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