IG BCE vereinbart freie Tage für Gewerkschafter – Wem nutzt es?

Boni nur für Mitglieder

Christa Hourani, Nikos Papadopoulos

Seit Jahren schon gibt es in den Gewerkschaften Diskussionen um den Mitgliederbonus. Die Mehrheit der ehrenamtlich gewerkschaftlich Aktiven befürwortet ihn und fordert ihn in Anträgen auf den Gewerkschaftstagen auch aktiv ein. Ende Juni hat die IG BCE, die sich total der Sozialpartnerschaft verschrieben und seit mehr als 50 Jahren keine tariflichen Streiks mehr durchgeführt hat, als erste Einzelgewerkschaft einen Flächentarifvertrag mit Mitgliederbonus vereinbart. Darin steht, dass Gewerkschaftsmitglieder von 2025 an einen freien Tag im Jahr zusätzlich erhalten. Für 10, 25, 40 oder 50 Jahre Mitgliedschaft gibt es im entsprechenden Jahr einen Ausgleich von einem weiteren Arbeitstag. Damit soll der ehrenamtlichen Tätigkeit als Gewerkschaftsmitglied Rechnung getragen werden.

Katja Scharpwinkel, die Präsidentin des Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. (BAVC), nannte den „hart erarbeiteten Kompromiss … ein klares Zeichen, dass die Sozialpartnerschaft in diesen schwierigen Zeiten funktioniert“. Dieses Lob vom Klassengegner muss zu denken geben. Es wird aber verständlich, wenn man die klare Aussage des Verhandlungsführers der IG BCE, Oliver Heinrich, im Vorfeld der Tarifrunde vor Augen hat: „Unsere Mitglieder verdienen einen Ausgleich dafür, dass sie jahrzehntelang Tariffrieden in der Chemie garantiert haben.“ Aus seiner Sicht gibt es den Bonus dafür, dass die Mitglieder stillhalten und nicht streiken. Dieses Verhalten wurde nun von der Kapitalseite belohnt.

Der Abschluss hat die Debatten in den Gewerkschaften erneut angefacht. Christiane Benner, Vorsitzende der IG Metall, hat auf der Bezirkskonferenz der IGM Baden-Württemberg Mitte Juli verkündet, dass der Vorstand beschlossen habe, den Arbeitgeberdachverband aufzufordern, „mit uns Gespräche über einen Mitgliederbonus zu führen“. Südwestmetall weist diese Forderung „scharf zurück“. Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall Oliver Barta warnt: „Eine durch einen Tarifvertrag vorgegebene Sonderbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern sorgt für großen Unmut in den Betrieben, denn sie erzeugt eine Zweiklassengesellschaft“. Die IGM wolle „offensichtlich auf Kosten der Arbeitgeber Mitglieder werben, anstatt partnerschaftlich mit uns nach sinnvollen Lösungen für die enormen Herausforderungen unserer Zeit zu suchen“. Auch wenn die Wirkung eines Mitgliederbonus für die Mitgliederwerbung umstritten ist, geht aus diesen Aussagen die Angst des Kapitals hervor, dass ein Bonus den Gewerkschaften einen großen Mitgliederzuwachs bringen und sie stärken könnte. Aber er kann natürlich auch zur Unruhe zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern führen. Und Unruhe ist ein Störfaktor bei der Profitmaximierung und deshalb unerwünscht.

Wie ist ein Mitgliederbonus also einzuschätzen? Was spricht dafür, was dagegen? Das Hauptargument in den Gewerkschaften ist, dass leichter Mitglieder zu gewinnen und zu halten wären, Mitgliedschaft attraktiver gemacht wird, langjährige Treue belohnt und der Trend des immer weiter sinkenden Organisationsgrades gestoppt werden könnte. Auf dem letzten Gewerkschaftstag der IGM im Oktober 2023 wurden Beispiele aus Betrieben genannt, die betriebliche Boni vereinbart haben. So zum Beispiel Airbus, wo die Mitglieder das tarifliche Zusatzentgelt (T-Zug) in freie Tage wandeln können, auch die Teilzeitkräfte. Das habe insbesondere im Angestelltenbereich einen guten Mitgliederzuwachs gebracht. Oder bei Vattenfall, wo es drei extra Urlaubstage für Mitglieder gibt. Die langjährigen Mitglieder freuten sich, dass ihnen endlich „etwas als Wertschätzung entgegengebracht wird, was die anderen Kolleginnen und Kollegen bisher nicht haben“. Die Regelung wurde als „Booster für unsere Mitgliederwerbung“ bezeichnet.

Aber: Mit dem Argument, wenn du Mitglied wirst, bekommst du einen Bonus, erzeugt man kein Klassenbewusstsein. Eher erzeugt man eine Versicherungsmentalität, ein Streben nach materiellen Vorteilen. Warum die Arbeiterklasse zur Verteidigung ihrer Interessen kämpfende Gewerkschaften benötigt, kann bei dieser Art von Mitgliederwerbung nicht vermittelt werden. Zusätzlich ist es schwierig, den Mitgliederbonus vor Nicht-Mitgliedern zu schützen. In der bayerischen Holz- und Kunststoffindustrie, wo es seit diesem Jahr einen Mitgliederbonus gibt, bedanken sich die Betriebe dafür, dass die IG Metall ihnen ihre Mitgliederlisten auf den Tisch legt, auszahlen tun sie trotzdem an alle. Tarifliche Regelungen, die das verbieten, wurden in der Vergangenheit von den Gerichten als rechtswidrig außer Kraft gesetzt. Es gibt Ideen, wie man das umsetzen kann, allerdings muss die Praxis erst noch zeigen, ob das funktioniert.

Unser Fazit: Besser als Mitgliederboni sind kämpferische Tarifrunden mit Abschlüssen, die Nicht-Mitgliedern zeigen, dass ihnen die Gewerkschaften etwas nützen. Diese sind vor über 150 Jahren entstanden, um die Arbeiterklasse nicht hilflos den Kapitalisten auszuliefern und um gemeinsam für eine andere Gesellschaftsordnung ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen.

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"Boni nur für Mitglieder", UZ vom 2. August 2024



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