Wie der Staatsapparat der Weimarer Republik dem Hitler-Faschismus den Weg bereitete: DKP Dortmund erinnert an Schlacht am Nordmarkt

Blutiges Beispiel

Hanfried Brenner, Doris Borowski

Am 16. Oktober 1932 zog eine gut 800-köpfige SA-Formation unter Polizeischutz zum Dortmunder Nordmarkt. Ein provozierender Propagandamarsch – dem sich Arbeiter in den Weg stellten, die im kommunistischen Kampfbund gegen den Faschismus sowie dem sozialdemokratischen Reichsbanner organisiert waren. Beide Organisationen waren damals in den Arbeitervierteln der Dortmunder Nordstadt stark vertreten.

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Musikalische Begleitung beim Nordmarkt-Gedenken 2023 (Foto: DKP Dortmund)

Die Arbeiter leisteten massiven Widerstand. Es kommt zu Straßenschlachten, und die Polizei schießt: viele Arbeiter werden verletzt, zwei unbeteiligte Anwohner sterben. Das Ereignis geht als „Schlacht am Nordmarkt“ in die Dortmunder Stadtgeschichte ein. Und es gilt als ein Beispiel dafür, wie der Staatsapparat der Weimarer Republik dem Hitler-Faschismus den Weg zur Macht ebnete.

Seit 1996 organisiert die DKP Dortmund alljährlich eine Kundgebung am Gedenkstein auf dem Nordmarkt. Sie ist nicht nur dem historischen Gedenken gewidmet, sondern will auch auf die aktuelle Rechtsentwicklung und die wachsende faschistische Gefahr aufmerksam machen. In diesem Jahr fand das Nordmarkt-Gedenken am 21. Oktober statt. Genossin Doris Borowski hielt eine Rede, die wir hier dokumentieren:

Liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen!

1996 hat die DKP – zunächst mit dem Linken Bündnis Dortmund – hier an der Stele des Nordmarktes zum ersten Mal der Opfer des Nazi-Überfalls auf die Nordstadt Dortmunds und damit des Widerstandes der Menschen im Stadtteil gegen den braunen Terror gedacht.

Seit 27 Jahre erinnern wir – denn Faschismus ist nicht Geschichte, mit der AfD ist eine rechtsextreme Partei im Bundestag, Hass gegen Flüchtlinge wird geschürt, Kriegshetze in den Medien und im Sprachgebrauch von Politikerinnen und Politikern… Die Reihe lässt sich fortsetzen.

Das ist der Grund, warum wir hier stehen und nicht nur gedenken, sondern im historischen Rückblick die Verantwortlichen benennen wollen für Faschismus und Krieg.

Das Jahr 1932:
Der Aufstieg der Nazis vollzieht sich in der Verbindung mit der Großindustrie: Am 16. Januar spricht Hitler vor dem Industrieclub in Düsseldorf. Mehrfach bereist er das Ruhrgebiet und trifft mit Wirtschaftsvertretern und Industriellen zusammen, u. a. in Essen, Bochum und Mülheim an der Ruhr mit Fritz Thyssen, Emil Kirdorf, Fritz Springorum.

Seit 1929 wirkt die sogenannte Weltwirtschaftskrise auch in Deutschland. Über 6 Millionen Arbeitslose, Hungersnot im Ruhrgebiet. Löhne und Erwerbslosenunterstützung werden gesenkt.

Demagogisch geben die Nazis dem „Marxismus und dem Weltjudentum“ die Schuld. Der Naziterror und der Versuch, in die Arbeiterklasse einzudringen, nimmt zu und führt zu Straßenkämpfen und Sturm auf die Hochburgen der Arbeiterbewegung.

So auch in Dortmund:
33 Prozent der Bevölkerung waren ohne Arbeit, 40 Prozent auf öffentliche Unterstützung angewiesen.

Der Dortmunder Norden ist ein Arbeiterviertel und besonders von der Wirtschaftskrise betroffen. Die Menschen hier nehmen ihre Lage nicht bedingungslos hin. Immer wieder führen Gewerkschaften, KPD und SPD Demonstrationen, Streiks und Hungermärsche für die Verbesserung der sozialen Lage durch.

Soziale Demagogie und offener Terror der Faschisten haben in der Nordstadt erstmal keinen großen Erfolg. Arbeiterwiderstand und antifaschistische Aktionen sind hier – auch vier Monate vor der Machtübertragung an Hitler – ungebrochen aktiv und lebendig.

In dem Buch von Elli Dost: „Im Norden geht die Sonne auf“ wird es schön wiedergegeben: „Mit meiner Mama politisierten wir oft. Die Arbeiter in unserem Stadtviertel hatten Hitler nicht gewählt, sie waren größtenteils links eingestellt. Sie sangen über Jahre hinweg das Lied, das um die Welt ging: ‚Völker, hört die Signale, auf zum letzten Gefecht. Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.‘ Dieses Lied haben wir als Schulkinder auch schon immer gesungen.“

Dies ist der politischen Reaktion, der NSDAP und dem hinter ihnen stehenden Kapital ein Dorn im Auge. Von Papen, Vertreter der Rechten, betont, dass „kein Mittel scharf genug sein kann, um kommunistische Ideen mit Stumpf und Stiel auszurotten.“

Von Papen spricht am 16. Oktober 1932 vor Wirtschaftsführern im Dortmunder Stadttheater. Seine Regierung steht für Notverordnungen, Entdemokratisierung und Zunahme des Massenelends.

An diesem 16. Oktober versammeln sich am Westfalendamm etwa 800 bis 1.000 uniformierte Nationalsozialisten: angeblich, um in der Nordstadt „eine Flugblattaktion durchzuführen“. Der Dortmunder Polizeipräsident Zörgiebel sorgt für verschärften Streifendienst der Polizei im Norden und Polizeischutz für die Nazis, die in mehreren Trupps von 80 bis 100 Mann über Weißenburger- und Münsterstraße in die Nordstadt geleitet werden.

Gegen diese Provokation der Faschisten kommt es an mehreren Stellen zu massiver Gegenwehr der Bewohnerinnen und Bewohner, besonders in der Alsenstraße, Stollenstraße und Mallinckrodtstraße. Zwischen 10.30 und 11.30 Uhr ereignen sich Straßenschlachten und Schießereien. Der Vorarbeiter Ernst Graberg und Martha Gregarek, die am Fenster stehend ihrer kleinen Tochter vorlas, werden durch Polizeikugeln tödlich getroffen und 14 weitere werden zum Teil schwer verletzt.

In den nächsten Tagen kommt es zu zahlreichen Protesten. So führt die Hochofenbelegschaft von Union einen halbstündigen Proteststreik durch.

Dagegen zeichnen die Schlagzeilen der bürgerlichen Presse ein völlig anderes Bild: „Nationalsozialisten von Kommunisten beschossen“ – „Zum Kommunistenüberfall im Norden“ – „Heftige Zusammenstöße von Nazis und Kommunisten“, so werden die Ereignisse umgedeutet, Täter und Opfer ausgewechselt.

Drei Tage später finden Hausdurchsuchungen im Norden statt. Angeblich sucht man Waffen, von Maßnahmen gegen die am Überfall beteiligten Nazis wird nichts berichtet.

Die Bewohner der Nordstadt bleiben wachsam und alarmiert, was die Nazis von weiteren „Flugblattaktionen“ abhält. Ein Erfolg der entschlossenen Bewohnerinnen und Bewohner der Nordstadt.

Vier Monate später wird Hitler durch Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Bereits im November forderten führende Industrielle vom Reichspräsidenten von Hindenburg die Einsetzung einer Hitler-Regierung. Besprechungen von Wirtschaftsvertretern mit Hitler und von Papen im Januar 1933 in Köln und Dortmund haben den Weg bestimmt.

Noch einmal aus dem Buch von Elli Dost:
„… nun marschierte die SA durch die Straßen. Die galizischen Juden wurden aus den Häusern geholt, getreten und geprügelt, ihre Klamotten warf man aus den Fenstern auf die Straße. Oh du lieber Himmel dachte ich. Einige Zeit später saßen wir auf einer Bank am Nordmarkt. Die Menschen erzählten sich hier von Ihren Nöten – jetzt wurde nur noch getuschelt.

Auf einer Bank saß ein Mann, einer von den Linken, den Rotfrontkämpfern. Die SA marschierte mit Fahne singend an ihm vorbei. Sie blieben vor ihm stehen: ‚Können Sie nicht grüßen?‘ ‚Guten Tag‘, sagte der Mann. Es heißt ‚Heil Hitler‘, schrie der SA-Mann, dann schlugen sie ihn mit den Gewehrkolben zum Krüppel.“

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
von unserem Gedenken muss der Auftrag ausgehen: Lassen wir Hetze, Provokationen und Rassismus nicht zu, benennen wir die Ursachen und Verursacher der heutigen Kriege, die Verursacher von unendlichem Leid. Stellen wir klar, wer an Krieg und Elend verdient – denn, so sagte Max Horkheimer richtig: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“

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