Fußball-EM 2024: Geschäfte, Propaganda und ein bisschen Sport

Blutgrätsche gegen Rechts

Friedhelm Vermeulen

Schottische Männer in kurzen Röcken, hin und her hüpfende Niederländer und choreographierende Schweizer – es gab durchaus schöne Momente bei der EM in Deutschland. Die Sehnsucht der Fans nach etwas Ablenkung war deutlich zu spüren. Sport – gerade wenn er sich als Zuschauer-„Event“ an Massen richtet – will weitestgehend unpolitisch sein. Die Hochglanzkampagnen der UEFA gegen Rassismus und für Toleranz enden in der Regel dort, wo die Milliardenumsätze gefährdet werden. Damit sind sehr enge Grenzen gesetzt.

Doch Fußballer und Fans kommen nicht aus dem Nichts. Die Stärkung rechter und rechtsextremer Organisationen in Europa lässt sich im Stadion nicht ausblenden. Zumal bei Länderspielen der Nationalismus immer mitschwingt. Welcher Fan schaut sich denn bitte ein Fußballspiel seiner Nationalmannschaft an, um guten Sport zu sehen? Außer die der deutschen natürlich, die waren selbstverständlich richtig unterhaltsam.

Der Fußball ist Spiegelbild der Gesellschaft und medial überhöhter Schauplatz für politische – ja, sogar völkerrechtliche – Konflikte. Berichtet wurde von albanischen Fans, die den Kosovo für sich beanspruchen. Von ukrainischen Fans, die noch mehr Waffen wollen. Und beim Achtelfinale in Leipzig sangen österreichische Fans „Ausländer raus“. Leider gibt es keine Volkspolizei mehr, die ihren Wunsch hätte erfüllen können.

Logo EM 2024 - Blutgrätsche gegen Rechts - Fußball-EM 2024, Rassistische Hetze, Rechtsruck, UEFA - Vermischtes

Die UEFA zeigt sich hilflos. Auch die Sperre des türkischen Nationalspielers Merih Demiral für seinen Wolfsgruß als öffentliche Unterstützung Rechtsextremer nützt da nicht. Kriege, Nationalismus, Rassismus und soziale Probleme lassen sich durch Stadionverbote nicht bekämpfen. Und auch wenn die Fußballverbände nicht Urheber des Rechtsrucks sind, handlungsfähig sind sie als Massenorganisationen durchaus.

Der Teamsport hat gute Voraussetzungen, einen positiven Beitrag zu leisten: Aussicht auf Erfolg hat man nur, wenn die Stärken und Schwächen sowohl der Mitspielerinnen und -spieler als auch der Gegnerinnen und Gegner respektiert werden. Wer rassistische Vorbehalte gegenüber seinen Mitspielern pflegt, der wird nicht weit kommen. Und: Alle müssen sich an die gleichen Regeln halten – sonst ist Sport sinnlos.

Das wirksamste Mittel gegen chauvinistische Scheiße in den Köpfen ist nicht, wenn Fußball-Millionäre leblose Lippenbekenntnisse gegen Rassismus abgeben. Es sind auch nicht farbenfrohe Werbespots, die eine realitätsferne Welt in eitel Sonnenschein tauchen. Die Auseinandersetzung ist schwerste Kleinstarbeit und findet vor Ort in den Jugendabteilungen statt – das betrifft auch den notwendigen Konflikt mit Menschen im eigenen Verein. Ein erster Schritt wäre, den Vereinen sehr viel mehr Geld zur Verfügung zu stellen, damit diese sich ihren eigentlichen Aufgaben widmen können. Das Gegenteil ist der Fall: Die UEFA macht Fußball zum überteuerten Event und der Staat lenkt weitere Milliarden in die Rüstung um.

Ehrenamtliche, die mehrmals die Woche auf dem Platz stehen, werden von der UEFA zusätzlich geschröpft, müssen 150 Euro für ein Vorrundenticket zahlen und dazu noch 8 Euro für ein Bier im Stadion. Dabei wäre eine EM in Deutschland eine großartige Gelegenheit, um für den Sport aktiv zu werben, Ehrenamtliche für ihr Engagement zu belohnen (Freikarten!) und auf die Bedingungen vor Ort aufmerksam zu machen. Wo kommen die Nationalspieler schließlich her?

Wenn wir das Stadion zum Ort politischer Auseinandersetzung machen, dann doch bitte dafür, dass die Beleuchtung endlich finanziert wird, die ein ordentliches Training am Abend erlaubt. Oder für die Instandsetzung sanitärer Anlagen. Oder für Vollzeitstellen für Jugendtrainer, die mehr vermitteln können als die akkurate Ausführung einer Blutgrätsche.

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"Blutgrätsche gegen Rechts", UZ vom 12. Juli 2024



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