Washington macht ernst. Nach dem US-Repräsentantenhaus hat auch der US-Senat Sanktionen gegen Firmen beschlossen, die am Bau der Erdgasleitung Nord Stream 2 beteiligt sind. US-Präsident Donald Trump unterschrieb das Gesetz zum US-Militärhaushalt, in dem die Sanktionen enthalten sind, wie angekündigt ohne große Verzögerung noch vor Weihnachten.
Aus US-Sicht mag der Beschluss, gegen Nord Stream 2 mit allen Mitteln zu Felde zu ziehen, stringent sein; gar nicht mal so sehr wegen der Hoffnung, mehr US-Flüssiggas an die Bundesrepublik verkaufen zu können, wenn die deutsch-russische Pipeline durch die Ostsee nicht zustande käme. Nein, die harte Attacke auf die Leitung trifft die russische Rohstoffbranche, die schon im Jahr 2014 mit den US- und EU-Sanktionen gegen die russische Erdölindustrie einen schmerzhaften Schlag erhalten hatte. Nun ist die Rohstoffbranche neben der Rüstungsindustrie zentrales Standbein der russischen Wirtschaft und Washington greift auch russische Waffenschmieden an: Wer etwa S-400-Luftabwehrsysteme kauft, muss – wie China und womöglich auch die Türkei – mit Sanktionen rechnen. Gelingt es, der Energie- und der Rüstungsbranche ernste Schäden zuzufügen, dann – so der Gedanke – hat man Moskau womöglich bald endgültig ausgeknockt.
Nun ist das nicht alles. Nord Stream 2 ist zugleich ein strategisches Projekt nicht nur der deutschen Industrie, sondern auch der deutschen Politik. Die Leitung wird nicht nur russisches Erdgas nach Deutschland bringen, das immer noch deutlich billiger ist als US-Flüssiggas. Zusammen mit Nord Stream 1 liefert sie mehr Gas, als die Bundesrepublik verbraucht. Das heißt: Sie macht Berlin zum Verteiler russischen Erdgases in Westeuropa, verschafft den deutschen Eliten also zusätzlich Macht.
Der US-Versuch, den Bau der Leitung in letzter Minute noch zu verhindern, ist ein Angriff auf strategische Interessen der Bundesrepublik. Das macht die Sache für die Bundesregierung brisant. Dies umso mehr, als Berlin gerade schwer Druck macht in Sachen „strategische Autonomie“. Die Verteidigungsministerin dröhnt, ein „Land unserer Größe“, mit „unserer geostrategischen Lage und unseren globalen Interessen“ müsse nun endlich global die „Initiative ergreifen“, auch militärisch – sonst „verzwergen wir uns selbst“. Der Außenminister verkündet, „Europa“ müsse außenpolitisch „geschlossener, strategischer handeln“. Die EU-Kommissionspräsidentin behauptet, „die Welt“ benötige „unsere Führung mehr denn je“: „Wir können diejenigen sein, die die Weltordnung zum Besseren hin formen. Dazu ist Europa berufen.“ Dazu freilich benötige die Union nun die „Sprache der Macht“.
Und da grätscht die Trump-Regierung, die dem deutsch-europäischen Weltmachtstreben eh schon einige Dämpfer zu verpassen sucht, in ein strategisches Projekt der deutschen Eliten hinein? Machtpolitisch ist das aus Sicht Berlins eine krasse Provokation. Denn müsste die Bundesregierung klein beigeben, käme Nord Stream 2 nicht zustande, dann hätte man nicht nur Milliardensummen in den Ostseesand gesetzt; es läge auch für alle Welt offen zutage, dass es mit der „Sprache der Macht“, mit „Europas Berufung“ nun doch nichts ist. Das käme der Trump-Regierung gewiss recht, nicht aber den deutschen Eliten. Es wird also spannend. Kanzlerin Angela Merkel, die transatlantische Eskalation mit all ihren Risiken noch fürchtend, erklärt, sie wolle Gegensanktionen vermeiden und lieber mit Washington verhandeln. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Anfang Januar mit Trump persönlich sprechen. Ausgerechnet eine Grünen-Politikerin, die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner, fordert den Generalangriff auf den US-Dollar: Man müsse den „Euro zur Leitwährung“ machen. Es zeigt sich: Der Wille zur Weltmacht ist da. Doch bleibt die Frage, ob Berlin und die EU auch, wie von der Leyen es formuliert, genügend „Muskeln“ haben, ihn politisch zu realisieren.