Eine beeindruckende Veranstaltung auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof in Stukenbrock mit bewegenden und deutlichen politischen Forderungen. Die Gedenkrede hielt der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker. Hubert Kniesburges von „Blumen für Stukenbrock“ hatte zuvor die Gäste begrüßt, unter ihnen den Generalkonsul der Russischen Föderation, Vertreter aus dem Bundestag, dem NRW-Landtag und der Gemeinde Stukenbrock. Fahnen der SDAJ, der DKP, der Naturfreunde verdeutlichten, welche Organisationen das Bündnis unterstützen. Internationale Bezüge vermittelte der Gastbeitrag von Prof. Dr. Wladimir Naumow aus Moskau. Einen interessanten Rückblick auf 50 Jahre „Blumen für Stukenbrock“ gab Pastor Jochen Schwabedissen. Vertreter aus dem benachbarten Jugendzeltlager griffen seinen Blick in die Vergangenheit und seine Hoffnungen für die Zukunft auf: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Hubert Kniesburges sagte bei der Begrüßung: „Hier auf dem Gräberfeld sowjetischer Kriegsgefangener in Stukenbrock-Senne, am Rand des Truppenübungsplatzes Senne, erinnern wir uns an das Leid und den Tod, den Kriege im letzten Jahrhundert bis heute millionenfach über die Menschheit gebracht haben. Die Massengräber des sowjetischen Soldatenfriedhofs geben Zeugnis von dem unvorstellbaren Verbrechen, das die Wehrmacht an den Kriegsgefangenen verübt hatte.“
Prof. Wladimir Naumow, er war im Alter von 11 bis 13 Jahren in der Bleiche AG in Brackwede als minderjähriger Zwangsarbeiter interniert und hat im Mai 1945 als 13-Jähriger an der Einweihung des Obelisken teilgenommen, schreibt in seinem Grußwort an diese Veranstaltung: „Wir begrüßen die Initiativen von Bürgern der Region zur Schaffung einer Gedenkstätte von nationaler Bedeutung in Stukenbrock. Damit entstehen neue Chancen, sich mit den Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und den Verbrechen in der NS-Zeit wie auch den Versäumnissen und der Ignoranz der Nachkriegszeit auseinanderzusetzen.“
Rolf Becker hielt die Gedenkrede: „Dank, dass ich hier bei Euch und mit Euch sein darf – in gemeinsamer Teilnahme und Sorge. Teilnahme im Gedenken an die Tausende sowjetischer Kriegsgefangener, die hier gelitten haben, bevor sie starben – an Hunger, Kälte, Krankheiten, durch Misshandlung, Folter, Totschlag, Erschießen. In Sorge, weil ein weiterer Krieg, der die Unermesslichkeit des in den zwei Weltkriegen Erlittenen noch zu übersteigen droht – Folge auch der Tatsache, dass sich die deutschen Nachkriegsregierungen einer konsequenten Aufarbeitung des vermeintlich Vergangenen verweigert haben und bis heute verweigern … Im zurückliegenden Krieg, an dessen Beginn am 1. September 1939 wir nach 80 Jahren erinnern, haben mehr als 60 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Oder waren es 65 Millionen, oder noch mehr? Das Leben des Einzelnen zählt nicht im Krieg. Um es mit Heinrich Heine zu sagen: ‚Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht eben so viel wert wie das des ganzen Geschlechtes? Denn jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt, die mit ihm geboren wird und mit ihm stirbt, unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte’… Die Jahre des ‚organisierten Vergessens‘ in Nachkriegszeit und den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik wirken bis heute nach … Mit meinem Anliegen als Konsequenz dessen, was ich seit meiner Kindheit erlebt habe, alles zu tun, um den uns Nachfolgenden Vergleichbares zu ersparen, scheine ich gescheitert: Erneut wird gegen Russland und die angeblich aggressive Führung der Russischen Föderation unter Wladimir Putin seitens Regierung und Medien mobilisiert … Der Ausweg – ich weiß ihn so wenig wie Ihr, kann nur einige Überlegungen aufgrund meiner Arbeit im Kreis politisch aktiver Kolleginnen und Kollegen in Betrieben und Gewerkschaften beitragen. Die Grundlage kapitalistischer Herrschaft ist die Konkurrenz der Arbeitenden unter sich. Ohne sie könnten die Herrschenden nicht herrschen.
Diese Konkurrenz untereinander gilt es zu überwinden, wenn wir aus der gegenwärtigen Entwicklung in unseren Ländern einen Ausweg finden wollen. Mit Bertolt Brecht: ‚Die große Wahrheit unseres Zeitalters (mit deren Erkenntnis noch nicht gedient ist, ohne deren Erkenntnis aber keine andere Wahrheit von Belang gefunden werden kann) ist es, dass unser Erdteil in Barbarei versinkt, weil die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln mit Gewalt festgehalten werden. Was nützt es da, etwas Mutiges zu schreiben, aus dem hervorgeht, dass der Zustand, in den wir versinken, ein barbarischer ist (was wahr ist), wenn nicht klar ist, warum wir in diesen Zustand geraten?…Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, dass das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das, wodurch die Eigentumsverhältnisse geändert werden.’“
Das Schlusswort hielt Jochen Schwabedissen, Pfarrer i. R., Bochum: „Es schien ein merkwürdiges Bündnis zu sein, das vor über einem halben Jahrhundert die Blumen pflanzte, die heute noch und in Zukunft für Stukenbrock blühen: Kommunisten und evangelische Pfarrer, einig im Widerstand gegen den Faschismus, riefen den Arbeitskreis ins Leben und bemühten sich darum, dass die Opfer und die Täter an diesem Gräberfeld nicht vergessen werden und der Auftrag der Überlebenden erfüllt werde, Frieden zu stiften. … Ich bin Christ und kein Kommunist, aber noch viel weniger ein Antikommunist, und das halte ich für eine Selbstverständlichkeit angesichts der Gräber dieser 65000 sowjetischen Soldaten und der Verbrechen, die im Namen des Antikommunismus geschehen sind. Camillo Torres, der Priester und Kampfgefährte Che Guevaras, sagte zu Recht: „Was streiten wir uns um die Unsterblichkeit der Seele, solange der Hunger für Menschen tödlich ist?“