Das virtuelle Geld „Bitcoins“ dient als Spekulationsobjekt und findet bei Erzliberalen Beifall

Blüten im Finanzsumpf

Von Lucas Zeise

Ende Juli haben Unbekannte 120 000 Bitcoins im Wert von mehr als 50 Mio. Euro geklaut. Ort der virtuellen Handlung war die Bitcoin-Börse in Hongkong. Der Handel, in dessen Verlauf der Preis der Bitcoins in Dollar oder Euro festgestellt wird, wurde zunächst eingestellt. Außerbörslich fiel der „Wert“ der Bitcoins kräftig. Es war nicht der erste Unfall der bisher beliebtesten Krypto- oder Cyberwährung. Aber sie wird deshalb nicht verschwinden.

Am 3. Januar 2009 waren die „Bitcoins“ erfunden und zugleich erschaffen worden. Anfang 2009 war die Finanzkrise schon eineinhalb Jahre alt. Der Glaube an das Funktionieren des Geldes, der Banken und des Finanzmarktes hatte einen Tiefpunkt erreicht. Die Anhänger alternativer Geldtheorien erhielten Zulauf. Noch mehr Zulauf hatte (und hat bis heute) die Österreichische Schule der alten Professoren des Wirtschaftsliberalismus Schumpeter, von Mises und von Hayek. Bei Banken, Hedge-Fonds und anderen Akteuren im Finanzmarkt sind die „Österreicher“ und ihre Nachfolger sehr beliebt. Doch handelt es sich um wahrhaft überzeugte, liberale Kapitalisten, denen die Freiheit des Marktes über alles geht. Sie finden, ganz wie ihr reaktionärer Stammvater Friedrich August von Hayek in seinem Werk „Der Weg zur Knechtschaft“ schrieb, den Sozialismus (also die Knechtschaft) schon in jeder staatlichen Wirtschaftspolitik.

Vorbild für Bitcoins: Geldware Gold - hier gestapelt im Lager der US-Notenbank

Vorbild für Bitcoins: Geldware Gold – hier gestapelt im Lager der US-Notenbank

( wikimedia.org/Federal Reserve Bank of New York)

Konsequent wie sie sind, ist ihnen das Geld heilig und die Art und Weise, wie es heutzutage in die Welt gesetzt wird, zutiefst zuwider. Dass Geld durch die Kreditgewährung der Banken per Federstrich bzw. Computereintrag, also aus dem reinen Nichts entsteht, ist ihnen ein Gräuel. Das ist in ihren Augen die Ursünde, welche den reinen Kapitalismus befleckt und die Probleme der Welt verursacht. Gold dagegen ist ihnen das Versprechen des reinen und des wahren Wertes. Gold sei gefeit gegen die Bestrebungen der Regierungen, immer mehr Geldschöpfung zuzulassen. Aber wenn man schon keinen Goldstandard mehr habe, sei – hier wieder Hayek folgend – wenigstens ein Wettbewerb der Währungen besser als das heutige formale Geldmonopol des Staates. Das bessere, private Geld werde sich dann durchsetzen.

Das ist der ideologisch-dogmatische Hintergrund für die Bitcoins. Ihre Schöpfer beanspruchen, damit eine – nicht-staatliche – Währung geschaffen zu haben, also Geld. Im Kapitalismus ist viel möglich. Um beurteilen zu können, ob dieser Anspruch eingelöst werden kann, muss man sich ansehen, wie Bitcoins funktionieren.

Nicht Münze, sondern Computersignal

Der Form nach ähneln Bitcoins, anders als das englische Wort „Coins“ signalisiert, kein bisschen der Münze sondern den Computersignalen, die in einer Bank Guthaben oder Schulden signalisieren. Nur sind diese Signale beim Bitcoin nicht im Bankcomputer, sondern im heimischen PC gespeichert. Um Bitcoins gegen normales Bargeld tauschen und zurücktauschen zu können, muss man über Verschlüsselungstechniken verfügen, die man beim Einkauf der „Kryptowährung“ miterwirbt. Auch hierin ist das Verfahren ähnlich wie der Umgang mit gewöhnlichem Geld im Kontakt mit der Bank. Die Verfügungsgewalt über das Geld wird nicht durch Scheine und Münzen in der Hand oder im Geldbeutel sondern durch Codes verwirklicht, die von den beteiligten Geschäftspartnern anerkannt werden.

Was beim normalen Geld seine Akzeptanz und seinen Nutzen verstärkt, sein Gebrauchswert als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel, gibt es bei den Bitcoins nicht. Als Zahlungsmittel wird der gemeine Euro genutzt und geschätzt, weil man sich ziemlich sicher sein kann, dass man auch morgen und in einer Woche eine ähnliche Sammlung von Waren für eine gegebene Euro-Summe kaufen kann wie heute. Weil umgekehrt herkömmliches Geld laufend im Warentausch eingesetzt wird, bleibt sein Wert, gemessen an diesen Waren, ziemlich stabil. Dieser Effekt fehlt bei den Bitcoins völlig. Weil es als gemeines Tauschmittel kaum genutzt wird, ist auch die Nachfrage nach der Währung mäßig. Bei wenig liquidem Handel schwankt der Preis der Bitcoins wild. Das macht sie als Wertaufbewahrungsmittel unangenehm. Sie sind weniger Wertaufbewahrungs- als Spekulationsmittel.

Hierin sind sie ähnlich wie Gold. Und offensichtlich haben die Bitcoins-Gründer das von ihnen verehrte Gold als Geld und Spekulationsobjekt zum Vorbild erkoren. Das traditionsreiche Edelmetall wird weder bei Aldi noch an der Tankstelle als Zahlung entgegengenommen, aber es fungiert dennoch in ganz begrenztem Rahmen als Geld. Am wichtigsten ist noch heute seine Funktion als internationales Geld. Die Zentralbanken horten es. Seine über Jahrhunderte getestete Eigenschaft als Wertaufbewahrungsmittel macht Gold in unsicheren Zeiten wie diesen so begehrt, dass sein Preis (in Dollar oder Euro) beträchtlich über den Förderkosten liegt. Gold hat allerdings im Unterschied zu Bitcoins auch noch anderen Gebrauchswert. Es dient als Zahnersatz, Schmuck und Element in elektronischen Geräten.

So gut wie Gold

Die Erfinder der Bitcoins haben zwei Tricks angewendet, um ihre Währung als goldähnliches, zuverlässiges Wertaufbewahrungsmittel zu qualifizieren. Gold ist über die Jahrhunderte hinweg relativ zu anderen Waren so teuer, weil es eines erheblichen Aufwands bedarf, um es zu fördern. Die Bitcoins sind nun so konstruiert, dass man erhebliche Rechnerleistungen aufwenden muss, um neue Bitcoins zu produzieren. Dies soll der Arbeitsleistung bei der Förderung von Gold entsprechen. Entsprechend wird die Herstellung frischer Bitcoins auch „Förderung“ genannt. Zweitens haben die Bitcoin-Erfinder ein Maximum der je zu erschaffenden Bitcoins – von 21 Millionen Stück – festgelegt. Das signalisiert Knappheit und kommt der alten, oft widerlegten, aber nicht tot zu kriegenden Theorie entgegen, wonach der Wert einer Währung umgekehrt proportional zur umlaufenden Geldmenge sei. Andere Kryptowährungen, die auf so aufwändige Rechnermethoden verzichten, sind schon von der Anlage her nur Methoden privater Geschäftemacher, den Anlegern das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Der erstaunliche Erfolg der Bitcoins erklärt sich zu einem guten Teil damit, dass gerade jene, die über freies Spielgeld verfügen, auf der Suche nach einer stabilen Wertanlage sind. Sie ziehen wie die einfachen Anhänger der Tea Party in den USA aus der berechtigten Kritik an den Machenschaften von Politik und Finanzkapital die falschen Schlüsse. Obwohl manche schon viel echte, staatlich und bankisch hergestellte Dollars oder Euro im Bitcoin-Handel verloren haben, obwohl die Tokioter Bitcoin-Börse Mt. Gox im Februar 2014 pleite ging, obwohl der Gewinn vor allem bei den Produzenten der Währung und den Bitcoin-Börsen anfällt, spekulieren sie munter weiter. Die Bitcoins sind daher eine instabile Spekulationsanlage. Ihr relativer Erfolg erklärt sich vielleicht auch damit, dass Geldwäscher und Steuervermeider den Umweg in diese Kryptowährung suchen. Jedoch wird dieser Pluspunkt häufig übertrieben. Dass dubiose Geschäfte in dieser Währung durchaus üblich sind, zeichnet sie schließlich vor Dollar und Euro nicht sonderlich aus.

Der weltweite Überschuss an frei verfügbarem Geld, der für die Finanzkrise verantwortlich war und der im Zentrum der Kritik der Anhänger der Computerwährung steht, ist zugleich der eigentliche Grund für den Erfolg der Bitcoins. Wenn Gewinne nicht mehr in Realkapital mit Aussicht auf Verwertung angelegt werden können, fließen sie zunächst in Finanzanlagen und Immobilien, dann in Rohstoffe, schließlich in Kunst, Wein und sonstige Lustbarkeiten und am Ende gar in verrückte Spekulationsprodukte wie Bitcoins. Bevor sie wieder verschwinden, werden die sonderbaren Bitcoins noch reichlich Nachahmer finden. Denn noch ist der Sumpf, in dem sie gedeihen, nicht trockengelegt.

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"Blüten im Finanzsumpf", UZ vom 12. August 2016



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