„Friedensgutachten 2016“: Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung in der Kritik

Blauhelmeinsätze als Lösung?

Von Nina Hager

Deutschland war im vergangenen Jahr hinter den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur weltweit. Wie der Branchendienst „Jane’s“ feststellt, verkauften deutsche Unternehmen 2015 Rüstungsgüter im Wert von rund 4,78 Milliarden US-Dollar (4,2 Milliarden Euro) ins Ausland – Kleinwaffen und Munition nicht mitgerechnet. Davon gingen 29 Prozent in den Nahen Osten und nach Nordafrika. Wichtigster Abnehmer in dieser Region war im vergangenen Jahr Saudi-Arabien, gefolgt von Algerien, Ägypten und Katar.

2014 hatte Deutschland in der Liste der größten Exporteure noch auf dem fünften Platz gelegen. Dass es 2016 wohl nur für den vierten Platz reichen wird, liegt nach Auskunft des Autors Ben Moores vor allem daran, dass Frankreich seine Exporte ausweite.

Seit 1987 geben das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg, die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt/Main und die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg jährlich ein Friedensgutachten heraus. 2002 wurde der Herausgeberkreis um das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) und das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) in Duisburg erweitert.

In der vergangenen Woche wurde das „Friedensgutachten 2016“ vorgestellt. Auf 250 Seiten gibt es knappe Analysen. Es geht vor allem um Fluchtursachen und Zuwanderung, um Kriege und Waffenexporte, um zerfallende Staaten im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika, um die Folgen der Flucht von Millionen auch für die EU.

Im Vorwort des aktuellen Gutachtens heißt es: „Die heutigen globalen Mächteverschiebungen gehen mit neuen Aufrüstungsschüben einher. Nukleare Rüstung hat nichts von ihrer Brisanz, Abrüstung nichts von ihrer Dringlichkeit verloren.“ Dies wird durch den SIPRI-Bericht, der in dieser Woche erschien, unterstrichen.

Weiter heißt es: „In den heutigen Gewaltkonflikten vermischen sich Krieg, Bürgerkrieg und Massenflucht. Globalisierung hat eine zusätzliche Dimension bekommen, da nun mehr Flüchtlinge aus der Dritten Welt nach Europa kommen. Unser Kontinent ist keine Insel der Seligen, die sich von den Problemen der Welt ab schotten kann. Wenn Unterdrückung und Bürgerkrieg in unserer Nachbarschaft nicht enden wollen, werden die Menschen auch künftig fliehen – ein Teil von ihnen auch nach Europa.“

Die „großen, außerhalb Europas entstehenden Migrationsströme stammen vor allem aus Ländern, in die externe Mächte direkt oder indirekt militärisch interveniert haben“, schreibt beispielsweise Andreas Heinemann-Grüder in seinem Beitrag.

Im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten setze die schwarz-rote Koalition aus ihrer Sicht falsche Signale, meinen die Forscher. Gefordert wird die Einrichtung eines Migrations- und Integrationsministeriums. Das Integrationsgesetz, so die Wissenschaftler, sei allerdings ein guter und notwendiger Ansatz, trage „der Größe der Herausforderung aber noch keine Rechnung“. Länder und Kommunen bräuchten „vor allem für Sprachkurse, Schulbildung und Ausbildung in Unternehmen“ deutlich mehr Geld.

Der Deal zwischen der EU und der Türkei wird unterschiedlich bewertet. Für die Mehrheit der Wissenschaftler begünstigt der Deal „de facto einen staatlich organisierten Menschenhandel“.

Die Forscher fordern die Unterstützung für die Zivilbevölkerung, die Verwirklichung von Projekten zur Infrastruktur und Ernährungssicherung usw. in den betroffenen Ländern. Sie fordern die Einstellung von Waffenlieferungen an reaktionäre („fundamentalistische“) Regime wie Saudi-Arabien und Katar und ein Ende der Unterstützung – beispielsweise durch die Bundesregierung – für die Lizenzproduktion von Klein- und Leichtwaffen in Saudi-Arabien.

Sie sprachen sich auch gegen weitere Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga im Irak aus. Das habe dazu beigetragen, Konflikte innerhalb des Irak anzuheizen, außerdem würden die Waffen weiterverbreitet. Die deutsche Beteiligung am Krieg gegen den IS in Syrien sei zudem völkerrechtlich nicht gerechtfertigt, erklärte bei der Vorstellung des Gutachtens in der vergangenen Woche Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. („Tagesspiegel“, 7.6.2016)

Die Forscher üben Kritik an der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung und fordern ein Umdenken. Sie kritisieren Militäreinsätze: Viel zu oft hätten militärische Aktionen katastrophale Neben- und Nachwirkungen bis hin zum Zerfall von Staaten. Statt Interventionen einzelner oder mehrerer Nationalstaaten – sogenannte Koalitionen der Willigen – gelte es, robuste UN-Einsätze zu fördern. „Dazu sollte Deutschland finanziell und personell einen größeren Beitrag leisten.“ Die Friedensforschungsinstitute erinnerten daran, dass die UN-Charta die Aufstellung eigener Einheiten der Weltorganisation und auch einen eigenen UN-Generalstab vorsieht. „Diesen Gedanken sollte man wieder aufgreifen“, meinte bei der Vorstellung des Gutachtens Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden.– Aber auch das wären Kriegseinsätze und Intervention! Solch eine Armee bräuchte auch Nachwuchs und moderne Waffen, also Rüstung sowie Rüstungsforschung …Und angesichts des heutigen Zustands der UNO und des herrschenden Kräfteverhältnisses werden es wahrscheinlich vor allem NATO-Truppen sein, die eingesetzt werden. Der hochproblematischen Forderung kann aber zumindest das „ND“ etwas abgewinnen. René Heilig schrieb am 9. Juni in einem Kommentar: „Vor allem aber bietet das Gutachten bedenkenswerte Empfehlungen. Gerade für Linke und ‚Die Linke‘. Klar kann man problemlos akzeptieren, dass militärische Interventionen inakzeptabel sind. Was aber, wenn zivile Streitschlichtung versagt? Statt in dubiose selbstmandatierte Koalitionen der Willigen einzusteigen, sollte Deutschland das robuste Peacekeeping der UNO, also Völkerrecht stärken, sagen die Forscher und wollen – das ist nicht neu – Friedensmissionen unter direktes UN-Mandat stellen. (…) Das ist allemal besser, als neue Kalte Kriege in Europa zu entfachen.

Vor Jahren gab es Verzweiflungstränen, als der Verdacht aufkam, die PDS wolle der Bundeswehr Blauhelme aufsetzen. Solche Emotionen ersetzen Linke inzwischen zumeist durch Losungen – statt Lösungen zu suchen.“

Bislang scheiterten in der Partei „Die Linke“ entsprechende Forderungen am Widerstand in der Partei. So auf dem Programmparteitag der Linkspartei in Erfurt 2011 und später. Die Position ist damit in der Partei „Die Linke“ aber nicht verschwunden. Heilig könnte dazu beitragen, dass – trotz der klaren Beschlüsse auch des Magdeburger Parteitags – die Debatte wieder aufflammt …

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"Blauhelmeinsätze als Lösung?", UZ vom 17. Juni 2016



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