Mario Draghi votiert für ein entschiedenes „Weiter so!“

Blasenökonomie

Von Klaus Wagener

Die Europäische Zentralbank hält den Leitzins weiterhin bei null Prozent. Der Einlagensatz, der Zins, zu dem die Banken überschüssiges Geld bei der EZB hinterlegen können, liegt bei minus 0,4 Prozent. Banken, so die Begründung, sollen motiviert werden, Kredite auszureichen, statt ihr Geld bei der EZB zu parken. Auch für die überschaubare Zukunft wird keine Erhöhung der Zinssätze in Aussicht gestellt. Im Gegenteil. Bis Mitte 2020 kündigte der EZB-Rat eine weitere Senkung der Zinssätze und eine Wiederaufnahme der Anleihekäufe an. „Alle Instrumente sind auf dem Tisch“, wandelte EZB-Präsident Mario Draghi die übliche Formel des Weißen Hauses ab, wenn angedeutet werden soll, dass man bereit ist, in den Krieg zu ziehen.

Die wirtschaftliche Situation in der Euro-Zone werde insbesondere bei Ländern mit starker Industrie „schlimmer und schlimmer“, betonte Draghi. In Deutschland war der Ifo-Geschäftsklima-Index zuletzt drastisch eingebrochen. Insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe sei „der Geschäftsklimaindikator im freien Fall“, warnte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Draghi verwies denn auch auf die globale Konjunkturabkühlung, die Schwäche des Welthandels, der unter den gegenwärtigen Handelskonflikten leide. Die Lage mache „signifikante geldpolitische Impulse“ notwendig.

Seit dem offenen Ausbruch der Krise im Sommer 2007 sind nun zwölf Jahre vergangen, ohne dass die Geldpolitik wieder in den Normalmodus zurückschalten konnte. Im Gegenteil. Die Zeichen für eine Rückkehr zum „Quantitative Easing“, das heißt zur ungehemmten Flutung der „Finanzmärkte“ mit kostenlosem EZB-Geld, werden stärker. Der Zusammenbruch der gigantischen Finanzblase nach 2007 hatte nicht zu einer reinigenden Pleitewelle bei den Spekulanten, einer Anpassung der Kapital-Überakkumulation an das Profit-Volumen der Realwirtschaft geführt, der klassischen Wirkung von Finanzkrisen, sondern zu ihrer Rettung mit öffentlichem Geld. Und zwar in zweistelliger Billionen-Höhe.

Die üblichen Krisenerscheinungen einer großen kapitalistischen Krise wie der des Jahres 1929 und folgende sind durch eine extreme Flutung der Finanzmärkte mit öffentlichem Geld bislang vermieden, besser gesagt, aufgeschoben worden. Die relative Stabilisierung des letzten Jahrzehnts war eine Konjunktur aus der Notenpresse. Die Hoffnung, dass daraus ein selbsttragender Aufschwung werden könnte, geht offensichtlich fehl. Die Kapital-Überakkumulation hat dadurch, dass man den obersten 0,1 Promille zu den Billionen, die sie ohnehin haben, noch laufend weitere dazu gibt, natürlich nicht ab-, sondern dramatisch zugenommen.

Die Deutsche Bank machte jüngst Schlagzeilen, als sie verkündete, 18000 Stellen streichen zu wollen. Weniger im Fokus standen die Finanzderivate der Bank. Sie haben sich laut „Financial Times“ auf die beeindruckende Summe von 43,5 Billionen Euro summiert. Das ist das 125-Fache des gegenwärtigen Bundeshaushaltes. Aufgrund der weltweiten Verflechtungen der Deutschen Bank sind die systemischen Risiken durch dieses gigantische Derivate-Paket bei einem ökonomischen Crash kaum zu überblicken.

Die Deutsche Bank war vor 2007 einer der Hauptakteure beim Aufpumpen der Finanzblase. Sie steht beispielhaft für die Blasenökonomie des neoliberal-globalisierten Finanzkapitalismus. Und ihrer geldpolitischen Rettung auf Kosten der arbeitenden Menschen. Diese Blasenökonomie erfordert den ständigen Zufluss „frischen Geldes“, wenn nicht der Kollaps eintreten soll. Das hat Mario Draghi offensichtlich verstanden. Die Versuche seiner US-Kollegen, sich aus der Nahe-Nullzins-Politik zu verabschieden, scheitern gerade auf offener Bühne. Federal-Reserve-Chef Jerome Powell versucht nur noch den Eindruck zu vermeiden, er würde auf die massiven Forderungen des US-Präsidenten nach einer Zinssenkung regieren. Eine Wende in der Fed-Zinspolitik von den gerade erreichten 2,0 bis 2,5 Prozent gilt als sicher. Der Zinssatz der Bank of England liegt mit 0,75 Prozent ohnehin auf EZB-Niveau und die Bank of Japan betreibt die Geldschwemme schon seit 20 Jahren. Die Bilanzsumme der Bank of Japan hat die Wirtschaftskraft des Landes längst überstiegen. Die Staatsschulden werden auf 237 Prozent des BIP geschätzt. Japan ist in dieser Disziplin das Maß der Dinge. Die EZB gibt sich redlich Mühe, dem Vorbild nachzueifern.

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"Blasenökonomie", UZ vom 2. August 2019



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