Tarifabschluss in der Stahlindustrie: Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich

Bitterer Beigeschmack

Bella Gruber

Es besteht Unsicherheit, ob Knut Giesler eine goldene Himbeere oder doch eher einen Oscar für seinen Auftritt beim Tarif-Talk am vergangenen Samstag verdient. Die neue Arbeitszeitregelung verkauft er als goldene Gans, eingerahmt von der ewigen Leier der kräftezehrenden Verhandlung.

8,5 Prozent mehr Gehalt, eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und die Verlängerung der Altersteilzeit waren gefordert. Was ist daraus geworden? Eine Reihe von Einmalzahlungen und eine Arbeitszeitverkürzung, die eher an Kurzarbeit erinnert. Konkret bedeutet das: 1.500 Euro „Inflationsausgleichsprämie“ im Januar 2024, weitere 1.500 Euro in Raten, 5,5 Prozent mehr Lohn ab Januar 2025. Die Einmalzahlungen bis November 2024, gefolgt von der Tabellenerhöhung im Januar, erweisen sich als Weihnachtsgeschenk mit Verfallsdatum. Es ist der bisher längste Abstand zwischen Abschluss und Tabellenerhöhung in der Geschichte.

Die Arbeitszeit kann zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der Transformation auf bis zu 32 Stunden verkürzt werden, mit teilweisem Lohnausgleich. Statt einer wirklichen Beschäftigungssicherung sind flexible Lösungen für die Unternehmen vereinbart worden. Diese können Personal nach Bedarf anpassen, ohne einen angemessenen Personalausgleich vorzusehen. Der Teil-Lohnausgleich für Arbeitszeitverkürzung hält dem Vergleich mit den Regelungen, wie sie bei Kurzarbeit gelten, nicht stand. Individuelle Arbeitszeitverkürzung war zudem bereits vor dem aktuellen Tarifabschluss möglich. Inmitten einer Transformationsphase wurde eine kollektive Arbeitszeitverkürzung von drei Stunden vereinbart, die auf den ersten Blick Entlastung bringt, bei genauerem Hinsehen jedoch auch Einschränkungen für die Beschäftigten.

In den einzelnen Betrieben kann die Arbeitszeit bei Druck auf die Beschäftigung um bis zu drei Stunden reduziert werden. Die Arbeitszeit kann aus betrieblichen Gründen aber auch temporär um bis zu drei Stunden erhöht werden, beispielsweise für einen Parallelbetrieb von alten und neuen Technologien oder für Qualifikationsmaßnahmen.

Die Laufzeit des Tarifvertrags erstreckt sich bis September 2025. Mit 19 Monaten fällt die Laufzeit damit im Vergleich zu den Abschlüssen der letzten Jahre kurz aus, die IG Metall hatte jedoch 12 Monate angestrebt.

Die vermeintlichen Zugeständnisse entpuppen sich als halbherzige Lösungen, die die Bedürfnisse der Beschäftigten nicht ausreichend berücksichtigen. Auftragslage und Binnennachfrage mögen als Argumente der Kapitalseite angeführt werden, doch die Beschäftigten haben ein Recht auf faire Bedingungen, insbesondere angesichts der hohen Subventionen, die in die Industrie fließen. Der Tarifabschluss wirft die Frage auf, wie in Zukunft Arbeitszeitforderungen gestellt und durchgesetzt werden können. So oder so zeigt sich: Selbst 24-Stunden-Warnstreiks, wie sie die Kolleginnen und Kollegen der Stahlindustrie durchgeführt haben, reichen nicht aus, um Reallohnverlust zu vermeiden oder Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich durchzusetzen.

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"Bitterer Beigeschmack", UZ vom 22. Dezember 2023



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