Eins muss man den EU-Staats- und Regierungschefs lassen: Sie haben dem europäischen Staatenkartell auf ihrem Gipfeltreffen in der vergangenen Woche das Personal verpasst, das es verdient. Wenn jetzt das EU-Parlament keinen Ärger macht und genügend Abgeordnete zur richtigen Zeit das Fingerchen heben, wird die Union in den kommenden Jahren adäquat geführt.
Da wäre zum einen die alte und neue Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. Sie hat es geschafft, die Europäische Staatsanwaltschaft noch während ihrer ersten Amtszeit zu Ermittlungen gegen sie zu veranlassen. Der Grund? Die Pfizer-Affäre. Von der Leyen hatte im Frühjahr 2021 persönlich – und ohne offizielles Mandat – mit dem US-Konzern über die Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden Corona-Impfstoffdosen verhandelt. Der Gesamtpreis: irre 35 Milliarden Euro. Der Stückpreis: stolze 25 Prozent mehr als bei früheren Käufen. Die Menge: viel zu viel; allein 2023 musste Impfstoff im Wert von vier Milliarden Euro vernichtet werden. Wie der Deal zustande kam, könnten Textnachrichten klären, in denen von der Leyen mit Pfizer-Chef Albert Bourla verhandelt haben will. Nur: Die SMS sind verschwunden, ganz wie die, die von der Leyen einst als Verteidigungsministerin verschickte. Was jeden Geschäftsführer eines Minigolfvereins sein Pöstchen kosten könnte, qualifiziert andere für das wohl mächtigste Amt in der EU.
Oder Kaja Kallas, Estlands Ministerpräsidentin, die das Amt der EU-Außenbeauftragten von Josep „Dschungel“ Borrell übernehmen wird. Kallas hat ihrem Ehemann einst 350.000 Euro für eine Beteiligung an einer Firma geliehen, von der später bekannt wurde, dass sie noch nach dem 24. Februar 2022 Handel mit Russland trieb: peinlich für eine Politikerin, die sich als härteste antirussische Hardlinerin ganz Europas inszeniert. Estlands Bevölkerung hat das ebenso wenig mit Begeisterung quittiert wie den Anstieg der Armut, der auf die Kürzung von Sozialleistungen zugunsten von Waffenlieferungen an die Ukraine folgte. Kallas‘ Partei stürzte denn auch von 31,2 Prozent in der Parlamentswahl im März 2023 auf 17,9 Prozent in der Europawahl ab. 23 Prozent der Bevölkerung sind aktuell noch mit ihrer Amtsführung zufrieden, 67 Prozent dezidiert nicht – wobei es eine Rolle spielen mag, dass sie sich laut allgemeiner Auffassung erheblich stärker um ihre Karriere kümmert als um ihr Land. Sie ist, das muss man neidlos anerkennen, reif für Brüssel.
Man könnte lachen, wenn’s nicht so bitter wäre. Ein EU-Diplomat hat einmal über Kallas geurteilt, sie sei eine Person, „die gern Russen zum Frühstück verspeist“. Anfang April 2022 war sie eine derjenigen, die sich am lautesten gegen die damals mögliche Einigung zwischen Moskau und Kiew auf einen Waffenstillstand aussprachen. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass „der politische Spielraum eines EU-Außenbeauftragten“, wie die FAZ kürzlich einen Diplomaten zitierte, „gering“ sei und Kallas „daher keinen Schaden anrichten“ könne. Mittlerweile hat sie übrigens angekündigt, künftig nicht mehr nur auf Russland einzuprügeln, sondern auch „China und Afrika in den Blick“ zu nehmen. Na dann.
Wobei sie sich bezüglich der Volksrepublik mit von der Leyen ins Gehege kommen könnte. Denn „in Europa“, so formulierte unlängst die „Neue Zürcher Zeitung“ zutreffend, sei es „vor allem“ die Kommissionspräsidentin, „die zum Sturm auf China bläst“: „Praktisch im Wochentakt“ kündige sie „neue Prüfungen zu möglichen Strafzöllen“ oder andere Aktionen gegen Peking an. Das wird sie aller Voraussicht nach noch fünf Jahre fortsetzen können – welche Intrigen auch immer sie dazu mittels sich in Luft auflösender Textnachrichten noch spinnen muss. Sie wird auch weiterhin – um Kallas‘ Stichwort Afrika aufzunehmen – EU-Pakte zur Flüchtlingsabwehr mit Regierungen in Nordafrika schließen können, während die, so etwa die Regierung Tunesiens, Migranten in den Tod in der Wüste deportieren. Es gilt freilich auch: Das EU-Personal verpasst dem Staatenkartell die Politik, die es will.