Über Katja Kippings Regierungswillen

Bitte um Gottesgeschenk

Wer eines der stärksten imperialistischen Länder vertreten will, ist gezwungen, die Interessen seiner Wähler zu zertreten. „Die Linke“ scheut davor nicht zurück. Am 22. November sagte deren Ko-Vorsitzende Katja Kipping dem „Spiegel“: „Ja, wir müssen ausstrahlen: Wir sind bereit zu regieren.“ Sie fügte dem an: „Nicht als Selbstzweck, sondern weil wir so noch besser als Sozialgarantie wirken können.“

Die Begründung ist nicht neu, sie ist so alt wie der Drang zum Regieren in der Vorläuferpartei PDS, also etwa 30 Jahre. Eingehalten wurde die Garantie bei Beteiligung an ostdeutschen Landesregierungen nie. Die Quittung waren Abstürze bei Wahlen mit Ausnahme von Thüringen. Hoffnung legt die Parteiführung auf Bremen.

Das offizielle Zertifikat für Regierungsfähigkeit erhielten die damaligen politischen Schmuddelkinder aus dem Osten vor 20 Jahren von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er konnte im Jahr 2000 seine Steuerreform zugunsten der Reichen – der Spitzensteuersatz wurde von 53 Prozent auf 43 Prozent gesenkt – deswegen durchsetzen, weil die in Mecklenburg-Vorpommern mit der SPD regierende PDS auf ein Veto verzichtete, so dass im Bundesrat die nötige Mehrheit zustande kam. Schröder empfing – „kleiner Tabubruch“ – den damaligen PDS-Arbeitsminister des Landes, Helmut Holter (seit 2017 Minister für Bildung, Jugend und Sport in Thüringen) im Bundeskanzleramt und sicherte im Gegenzug die Beteiligung der PDS bei den Gesprächen über die Privatisierung und Kürzungen der Renten zu. Holter nannte das Treffen ein „historisches Ereignis“, der damalige PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch machte gar „ein Geschenk Gottes“ aus. „Der Spiegel“ kommentierte: „Denn der Kanzler hatte auf einen Schlag die PDS saniert, die nach dem Chaos-Parteitag im April in der tiefsten Krise ihres Bestehens steckte.“ Damals war es in Münster zur Konfrontation über die Haltung der Partei zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr gekommen.

Nun machen sich Linke- und SPD-Führung Gedanken um ein weiteres Gottesgeschenk. Nach einem Treffen der Spitzen von SPD, Grünen und „Die Linke“ erfand die SPD-Ko-Vorsitzende Saskia Esken in der der „Rheinischen Post“ vom 10. Oktober die „Kooperationsregierung“: Kernthemen werden verabredet, ansonsten werden wechselnde Mehrheiten gesucht. Was die deutsche Großbourgeoisie davon hält, ist unbekannt. Sie äußert sich nicht zu jedem Hirngespinst.

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"Bitte um Gottesgeschenk", UZ vom 4. Dezember 2020



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