„Du kannst alles schreiben“, so Eberhard Czichon am Telefon, und es gehe ihm gut, nur das Laufen … Aber zu den Parteiversammlungen würde er gefahren. In seinem Alter dürfe er sich auch mal fahren lassen. Ja – darf er, denn in diesen Tagen feiert er seinen 85ten Geburtstag.
Gehört „unbotmäßig“ zu sein (laut Duden „sich nicht so verhaltend, wie es [von der Obrigkeit] gefordert wird“) zu den Eigenschaften eines guten, das heißt ehrlichen, Historikers? Die eigene Forschung auf Fakten aufzubauen und seine Ergebnisse auch gegen tatsächliche oder vermeintliche Obrigkeit zu verteidigen, sollte einen Historiker, einen marxistischen zumal, auszeichnen. Czichon ist ein solcher.
Bekannt wurde Eberhard Czichon in der BRD 1967 mit seinem Buch „Wer verhalf Hitler zur Macht?“, sein 1970 erschienenes Werk „Der Bankier und die Macht“, in der er die Nazi-Verstrickungen der Deutschen Bank offenlegte, machte ihn im Westen berüchtigt. Es war ein entscheidender Beitrag zur Entlarvung der Naziprofiteure. H.-J. Abs, Ex-Vorstandssprecher der Bank klagte gegen die Veröffentlichung. Vor dem Prozess war Czichon zuversichtlich. Was Abs‘ Anwalt nicht wusste: In New York hatte ein Historiker Mikrofilme der „OMGUS-Ermittlungen“ zur Deutschen Bank gefunden
und Kopien gelangten über Tel Aviv und Wien in Czichons Besitz. Alle Behauptungen waren gerichtsfest belegbar. Was aber Czichon nicht wusste: obwohl er die Kopien in der Tasche hatte, würde er sie in dem Prozess nicht ausgiebig nutzen können. Seinem Anwalt Friedrich Karl Kaul war der Wink gegeben worden, dass es nicht nützlich sei, den Prozess gegen Abs zu gewinnen. Es herrschte wohl die Besorgnis, das erhoffte „Tauwetter“ in den Wirtschaftsbeziehungen könnte schaden nehmen. Die Anwälte schlossen einen „Deal“, Czichon konnte seine Trumpfkarten nicht ziehen und folgerichtig bezahlte die Westabteilung der SED die Schadensersatzforderungen gegen ihn. Ohne Mitwirkung der Westabteilung konnte das Buch dann 1977 in hoher Auflage in Moskau erscheinen.
Doch für die Geschichtswissenschaft der DDR kamen seine Ergebnisse zur falschen Zeit. Seine Promotionsschrift wurde zurückgewiesen, die von ihm dargelegten Differenzierungen in den Einstellungen der Bourgeoisie zum Faschismus fanden Ablehnung. Anregungen vom Institut für Marxismus-Leninismus, seine Thesen zu „überdenken“, lehnte er ab. Er blieb ohne den Vornamen „Dr.“, aber dem Grundsatz eines marxistischen Historikers treu, notwendig „unbotmäßig.“ (Später vertrat das IML identische Thesen.)
„Wegen Unbotmäßigkeit“ wird er dann auch 1981 aus der SED ausgeschlossen. Aber er bleibt „der Sache“ – und der Partei – verbunden. Als er wieder in die SED eintreten will, bitten ihn die Genossen, noch ein wenig zu warten, denn „als Parteiloser hast Du größeren Einfluss in der BGL“. Also wartet er ein wenig.
1990 ist er Mitbegründer der „Kommunistischen Plattform“, schätzt aber nach einiger Zeit ein, dass die PDS-Führung eine eigene Strategie mit der KPF verfolgt und verlässt diese Partei. Als Gründungsmitglied des „RotFuchs“ versucht er, den damaligen DKP-Parteivorstand für eine Ausdehnung der Partei in den Osten zu gewinnen.
Heute ist Eberhard Czichon in seiner Partei, der DKP, hoch geachtetes Mitglied der Geschichtskommission.
2001 erschienen Czichons erweiterte Forschungsergebnisse zur Deutschen Bank unter dem Titel „Deutsche Bank – Macht – Politik“ bei Papyrossa. Zwei andere Bücher dürfen nicht unerwähnt bleiben: „Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-Ausverkauf“ (Papyrossa, 1999/2009), in dem er mit Heinz Marohn Akten des SED/PDS-Archivs auswertete und aufdeckte, wie Parteikader in den Verkauf der DDR durch Gorbatschow verwickelt waren. Namen sind genannt, geklagt hat niemand, aber „unbotmäßig“ mag es manchem geschienen haben.
Den Doppelband „Thälmann. Ein Report“ (Heinen, 2010) veröffentlichten Czichon und Marohn nach fast einem Jahrzehnt Archiv-Arbeit. Damals konnte ich seine Sorgfalt und Genauigkeit erleben. „Gewendete“ Historiker tobten, weil er sich nicht ihrer heutigen Geschichtssicht anpasste – doch Fehler konnten sie den beiden nicht nachweisen.
Eberhard Czichon ist immer Marxist geblieben, und seine starke Gelassenheit im Umgang mit Karrieristen hilft unbotmäßig.
Danke Eberhard und auf Deinen 85ten: „Sto gramm.“ Grüße an Ruth!