Der Kampf um die Sozialisierung des Ruhrbergbaus 1945 bis 1948

Bis heute nicht verwirklicht

Von Günter Judick

Essen, Zeche „Zollverein“ (Februar 1949)

Essen, Zeche „Zollverein“ (Februar 1949)

( Foto: Carl August Stachelscheidt / Bundesarchiv, Bild 183-R80414 / CC-BY-SA 3.0)

Der Kampf um die Enteignung der Monopole der Bergbau-, Stahl- und Chemieindustrie und ihre Überführung in Gemeineigentum begann unmittelbar nach der Befreiung vom Faschismus und war im Bewusstsein fast aller Antifaschisten verbunden mit dem Ringen um Entnazifizierung, Demokratiesicherung und Verhinderung von Sabotage an der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung. Von der Arbeit der Bergarbeiter, von der Steigerung der Kohleproduktion hing weitgehend das Ingangsetzen der übrigen Industrien, des Eisenbahnverkehrs und der Hausbrandversorgung ab. Die Kohlennot gab zugleich den Bergarbeitern und ihrem Handeln ein relativ hohes politisches Gewicht.

Noch in den letzten Kampftagen hatten die Kommunisten wie Hans Schiwon, Walter Jarreck, Willi Agatz u. a. die Initiative ergriffen für den Wiederaufbau des Bergarbeiter-Verbandes und die Schaffung von Betriebsausschüssen. Schon am 19. April 1945, zwei Tage nach der Beendigung der Kämpfe im Ruhrkessel, trafen sich in Gelsenkirchen vorläufige Betriebsräte aus 25 Schachtanlagen. Bald danach wurden auch sozialdemokratische und christliche Gewerkschafter aktiv.

Bereits auf den ersten regionalen Beratungen der (Bergbau-)Betriebsräte stand die Eigentumsfrage. Die Bergleute wollten wissen, für wen sie arbeiteten. Bei den älteren Kumpels war der Sozialisierungsbetrug von 1919/1920 noch in der Erinnerung und die Losung „Keine Wiederholung der Fehler von 1918“ aktuell. Mangels einer zentralen deutschen Verwaltung richteten sich die ersten Forderungen auf Enteignung der Monopolherren, auf Überführung der Zechen und Betriebe in den Besitz der Kommunalverwaltungen bzw. der Provinzialregierungen. So beschloss die Betriebsrätekonferenz aller Schachtanlagen des Ruhrgebiets am 14. November 1945 in Bochum die Bildung eines Ausschusses, der den gemeinsamen Kampf für folgende Forderungen organisieren sollte: Überführung der Schachtanlagen in die Hände der Provinzialregierungen, Säuberung der Betriebe und Verwaltungen von aktiven Nazis und die volle Mitbestimmung der Betriebsräte und Gewerkschaften in allen Fragen des Betriebes.

Um dem wachsenden Druck in der Enteignungsfrage zu entgehen und die eigenen Pläne durchzusetzen, stellte die britische Militärregierung am 22. Dezember 1945 67 Gesellschaften des Stein- und Braunkohlebergbaus unter ihre Kontrolle. Eine Reihe führender belasteter Nazis wurde zeitweilig interniert. Zugleich blieb die Mehrzahl der alten Führungskräfte in den Betrieben in Funktion.

Sozialisierung oder Entflechtung?

Am 7. Januar 1947 reichte die Kommunistische Fraktion im ernannten NRW-Landtag einen Gesetzentwurf zur entschädigungslosen Enteignung der Stein- und Braunkohlengruben in NRW ein. Bis zur nächsten Sitzung des Landtags vom 4. bis 6. März 1947 liegen neben dem Entwurf der KPD auch ein Antrag der SPD auf Durchführung einer Volksbefragung zu einem Sozialisierungsgesetz und Abänderungswünsche der CDU vor. Sie bilden die Grundlage der Diskussion der Landtagssitzung, zu der 93 Delegationen mit mehr als 200 Delegierten der Schachtanlagen angereist sind, um die Sozialisierungsforderung zu unterstützen.

Zu Beginn der Debatte begründete der Abgeordnete Josef Ledwohn den Gesetzentwurf der KPD. Er unterstreicht die Schuld der Monopolisten an Rhein und Ruhr für das Zustandekommen des Faschismus und nennt die Forderung nach Überführung des Ruhrbergbaus „nicht nur eine Maßnahme zur Entmachtung der ehemaligen Kriegstreiber, sondern einen entscheidenden Schritt zur Demokratisierung Deutschlands und dadurch auch zur Festigung des Friedens und zur Wiederherstellung des Vertrauens der anderen Völker zu uns“. Ledwohn weist nach, dass es nicht um die Enteignung von Kleinaktionären geht, sondern im wesentlichen um acht Kohlemagnaten, die die 12 größten Kohlegesellschaften im Ruhrbergbau beherrschen, die insgesamt über Abbauflächen von 2 858 Quadratkilometern verfügen. Sie gehören den Konzernen von Flick, Krupp, Stinnes, Haniel, Hoesch, Thyssen, Kloeckner und den IG Farben. Der KPD-Sprecher kann auf die große Unterstützung der Bergbaubelegschaften verweisen und unterstreicht den Willen, das weitgehendste Mitbestimmungsrecht der Gewerkschaften zu sichern.

Der Abgeordnete Fritz Henßler (SPD) setzte sich scharf mit Adenauer und dem Ahlener Programm auseinander und zeigte die unter Adenauer vollzogene Abwendung vom anfänglich von der CDU vertretenen christlichen Sozialismus auf. Er verteidigte die Enteignung zugunsten des Landes NRW, distanzierte sich jedoch zugleich von einer sozialistischen Staatswirtschaft und der damit verbundenen Herrschaft einer Bürokratie. Er definierte Sozialisierung als „ein origineller neuer Aufbau neben dem Staat, sie ist Selbstverwaltung der Wirtschaft, aber in neuer höherer Form, sie ist Überführung aus der Welt des Geschäfts in die Form des Gemeinwohls“.

Entsprechend dem im Februar 1946 verkündeten Ahlener Programm propagierte die CDU demgegenüber ein Entflechtungsmodell für die marktbeherrschenden Monopole, wobei auch hier starke Einschränkungen des privaten Kapitalbesitzes betont wurden. Originalton Adenauer: „Unter Kapitalismus verstehen wir die Erscheinungsform der Wirtschaft, in der der Profit des Kapitals das allein Ausschlaggebende war. Diese Wirtschaftsform ist vorbei. Sie will keiner von uns jemals wiedersehn. Über die Verflechtung der Wirtschaft ist mit Recht in der Vergangenheit und auch jetzt als Ursache vielen Unheils, das über unser Volk hereingebrochen ist, gesprochen worden und in gleicher Weise über die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger Personen. Wir wollen die Änderung in. den Besitz- und Machtverhältnissen bei allen monopolartigen Unternehmen. (Wir wollen) eine gemischtwirtschaftliche Betriebsform, bei der die Vertreter des nichtprivaten Kapitals die Mehrheit der Stimmen haben.“

Auf diese Entflechtungskonzeption und die Gemeinwirtschaftsvorstellungen der CDU antworteten Prof. Erik Nölting für die SPD und Rudi Wascher für die KPD. Nölting nannte sie einen Schwabenstreich, beide Vertreter der Arbeiterparteien bezeichneten sie als Neuauflage des Betrugs von 1918, als Rettungsanker für das Monopolkapital Doch auch die besten Argumente nutzten nichts. Die CDU und die noch schärfer ablehnende FDP wollten Zeitgewinn für das Großkapital. Die Entscheidung fiel mit 104 zu 91 Stimmen gegen die Sozialisierungsvorlage.

Um Zeitgewinn ging es der CDU auch nach den Landtagswahlen (April 1947) und den (die Überführung in Gemeineigentum fordernden) Aussagen der Regierungserklärung. Zwar wurde der Wirtschaftsausschuss des Landtags beauftragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, doch wurde die Plenardebatte immer wieder vertagt.

Keine Zustimmung der britischen Militärregierung

Inzwischen hatte der kalte Krieg die antifaschistischen Gemeinsamkeiten weitgehend verwischt. Mit den Londoner Empfehlungen stand die Spaltung Deutschlands auf der Tagesordnung. In dieser veränderten Situation diskutierte der NRW-Landtag am 5. und 6. August 1948 einen neuen Entwurf eines „Gesetzes zur Sozialisierung der Kohlenwirtschaft im Lande Nordrhein Westfalen“. Grundlage war ein im Wirtschaftsausschuss mit Mehrheit beschlossener Entwurf, der auf einer SPD-Vorlage beruhte. Vorbehaltlich einer späteren Regelung im Reichsmaßstab sah der Entwurf die treuhänderische Übernahme des Eigentums an allen Stein- und Braunkohlen durch das Land NRW vor. Die Entschädigung der Enteigneten sollte durch ein besonders Gesetz geregelt werden, wobei Kriegsverbrecher und Naziaktivisten von der Entschädigung ausgeschlossen werden sollten. Zur Leitung und Verwaltung der Betriebe sollte eine „Selbstverwaltung Kohle“ geschaffen werden. Sie sollte aus 33 Mitgliedern bestehen, und zwar aus 10 Vertretern des Landtages, 10 Vertretern der Gewerkschaften, fünf Vertretern aus der Leitung der kohlenwirtschaftlichen Unternehmen, zwei Vertretern der Gemeinden, drei Vertretern der übrigen Wirtschaft und drei Vertretern der Forschung und Ausbildung.

Der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses, der Abgeordnete Walter, der zugleich als erster Redner der SPD-Fraktion auftrat, bemühte sich in Auseinandersetzung mit CDU-Vorstellungen, einer weiteren Verwässerung des Gesetzes durch Formulierungen wie Herstellung einer „gemeinwirtschaftlichen Ordnung“ entgegenzutreten. Für die Verabschiedung des Gesetzes sei nicht zuletzt das Argument wichtig, dass die Zuständigkeit der Besatzung beendet werden rnüsse, aber niemandem damit gedient sei, wenn an die Stelle deutscher Kapitalisten ausländische Kapitalisten treten würden. „Wir wollen Klarheit darüber haben, ob die wirklichen Besitzer, nämlich das deutsche Volk, auch die Verfügungsrechte darüber erhalten soll.“ Für die CDU versuchte ihr Sprecher Dr. Dr. Heinemann juristische Einwände gegen einzelne Gesetzesartikel zu begründen. Kernpunkt seiner Ablehnung war, dass mit der Selbstverwaltung Kohle ein neues Machtzentrum entstehe und dass sich aus ungeklärten Entschädigungsansprüchen unübersehbare Risiken für das Land ergäben.

Willi Agatz begründete, warum die KPD dem Gesetz zustimme, obwohl sie unter Sozialisierung etwas anderes verstehe, was nur unter der Macht der Arbeiterklasse verwirklicht werden könne. „Was aber hier in diesem Entwurf drin ist, das ist die Tatsache, dass dieser Entwurf noch eine klare Regelung der Eigentumsfrage anspricht. Das Eigentum am Bergbau soll in den Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen überführt werden. Das ist es, was uns bestimmt, diesem Entwurf zuzustimmen. Die Vorlage strebt die Demokratisierung der Wirtschaft an. Sie schafft die Voraussetzungen dazu, dass wir zu einer neuen demokratischen Wirtschaftsordnung gelangen, von der aus wir dann vordringen können zu einer sozialistischen Ordnung unserer ganzen gesellschaftlichen Verhältnisse.“

Trotz aller Gegensätze des kalten Krieges überwiegt 1948 noch die Gemeinsamkeit, eine Rückkehr der Kohlenbarone zur Macht zu verhindern. So wird das Gesetz mit den Stimmen von SPD, KPD und Zentrum. bei Enthaltung der CDU und den Gegenstimmen der FDP und eines CDU-Abgeordneten am 6. August 1948 angenommen. Durch einen Brief des englischen Generals Bishop wird die Zustimmung der Militärregierung verweigert.

Bei den Landtagswahlen 1950 stand die Landesverfassung für Nordrhein-Westfalen zur Volksabstimmung. Sie wurde mit Mehrheit der Stimmen der CDU und Zentrumswähler, gegen die Empfehlung der KPD und von Teilen der SPD angenommen. Im Artikel 27 heißt es wörtlich:

„1. Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.

2. Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten.“

Beide Formulierungen sind eindeutig. Dutzende Minister, hunderte Abgeordnete sind auf diese Verfassung vereidigt. Keiner hat je etwas getan, zwingende Verfassungsvorschriften zu verwirklichen.

Auszüge aus einem Referat von Günter Judick, Geschichtskorrespondenz, Heft 2/1996

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"Bis heute nicht verwirklicht", UZ vom 13. Juli 2018



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