Der Fall des italienischen Sozialistenchefs Bettino Craxi

Bis heute größter Korruptionsskandal

Von Gerhard Feldbauer

Bettino Craxi

Geb.: 24. Februar 1934 in Mailand;

1953 – Mitglied der Sozialistischen Partei Italiens (PSI);

1973 – Generalsekretär der Partei;

1983 – italienischer Ministerpräsident (1987 – Craxi wird vom Regierungspartner DC zum Rücktritt gezwungen.

1992 – Eröffnung von Ermittlungsverfahren gegen Craxi;

1993 – Rücktritt als Generalsekretär des PSI;

Mai 1994 – Flucht ins tunesische Exil.

Gestorben am 19. Januar 2000 in Hammamet, Tunesien.

Vor 25 Jahren, im Dezember 1992, erlebte das an Korruptionsfälle großen Ausmaßes gewöhnte Italien eine bis dahin kaum für möglich gehaltene Steigerung. Am 15. des Monats eröffnete die Mailänder Staatsanwaltschaft gegen den Sekretär der Sozialistischen Partei (ISP), Bettino Craxi, wegen Korruption, Hehlerei, illegaler Parteifinanzierung und anderer schwerwiegender Vergehen sechs Ermittlungsverfahren. In einem Fall wurde er wegen der Kassierung von 200 Millionen DM Bestechungsgeldern angeklagt. Seine Beziehungen zu der von der CIA Ende der 60er Jahre zur Zurückdrängung des Einflusses der Kommunistischen Partei (IKP) gebildeten faschistischen Putschloge Propaganda due (P2) kamen zur Sprache. Craxi hatte immer bestritten, in der Schweiz ein von der P2 für ihn eingerichtetes geheimes Nummernkonto zu unterhalten. Nun sagte sein Parteifreund Silvano Larini aus, dass er für seinen Chef Schmiergelder eingesammelt und in seinem Auftrag auf besagtes Konto unter dem Code „Protezione“ eingezahlt habe. Craxi wurde nachgewiesen, dass er persönlich auf dieses Konto 600 Millionen Dollar transferiert hatte.

Als sich die Untersuchungen gegen den ehemaligen Regierungschef (1983 – 1987) fünf Monate später auf 41 Korruptionsfälle erstreckten, floh er vor der Vollstreckung des Haftbefehls nach Tunesien. Zwischen 1994 und 1996 verhängten die Gerichte gegen ihn insgesamt 26 Jahre Gefängnis. Trotz drei internationaler Haftbefehle, verweigerte Tunis seine Auslieferung. Es war von großen Investitionen die Rede, die Craxi aus seinen Bestechungsgeldern in die Wirtschaft des Entwicklungslandes investiert haben sollte. Im Januar 2000 verstarb er in dem mondänen Badeort Hammamet. Vom „Spiegel“ (Nr. 52/1999) nach seiner Haltung zur Korruption befragt, hinterließ er das Bekenntnis: „Alle haben das getan, alle haben davon gewusst.“

Der Fall Craxi war der herausragende in den Korruptionsermittlungen der Gruppe der Mailänder Staatsanwaltschaft unter Leitung von Antonio Di Pietro, die in den Medien „Mani pulite“ (saubere Hände) genannt wurde. Die Ermittlungen erstreckten sich auf etwa 6 000 Politiker, darunter ein Drittel der 945 Senatoren und Abgeordneten, ehemalige und im Amt befindliche Minister, unzählige Bürgermeister. Anfang 1993 saßen 1 356 Staats- und Parteifunktionäre sowie Wirtschaftsmanager in Haft. Die Beschuldigten hatten für die Vergabe von Bau- und Beschaffungsaufträgen oder auch nur für behördliche Genehmigungen Milliardensummen an Bestechungsgeldern kassiert. Das Turiner Einaudi-Institut errechnete die Summe von jährlich zehn Milliarden Dollar gezahlter Schmiergelder. Wie die römische „La Repùbblica“ am 19. September 1993 berichtete, wurden die auf Schweizer Konten gelagerten Bestechungserträge auf umgerechnet 30 Milliarden Dollar beziffert. Während der Voruntersuchungen begingen über ein Dutzend der Beschuldigten Selbstmord, darunter der Präsident des Feruzzi-Konzerns, Raul Gardini, und der frühere Chef des staatlichen Energiekonzerns ENI, Gabriele Cagliari. Beide hatten unter anderem eine etwa 400 Millionen Dollar umfassende Betrugsaffäre eingefädelt.

Von der P2 als neuer „Duce“ geplant

Craxi, der seit 1972 stellvertretender Sekretär der ISP war, hatte in der sogenannten Midas-Verschwörung (benannt nach dem luxuriösen Hotels in Rom, in dem die Tagung stattfand) im Juli 1976 Francesco De Martino gestürzt und sich selbst an die Parteispitze gebracht. Im November desselben Jahres wurde er auch noch Vize der Sozialistischen Internationale, in der er bald zu den engen Freunden Willy Brandts gehörte. De Martino hatte als Nachfolger Pietro Nennis seit 1963 die Partei auf einen zwar gemäßigten, aber doch linken Kurs gehalten und die von dem linksliberalen Vorsitzen der Democrazia Cristiana (DC), Aldo Moro, angestrebte Einbeziehung der IKP in eine Regierung unterstützt. Damit war unter Craxi Schluss. Er brachte die ISP binnen kurzem auf eine stramm rechte, wenn auch zunächst noch demagogisch links getarnte antikommunistische Linie.

Die P2 hatte schon die Fäden der Midas-Verschwörung gezogen. Sie wollte Craxi als einen neuen „Duce“ aufbauen. Der ISP-Chef gehörte, wie die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino in ihrem Buch „Berlusconi-Showmaster der Macht“ (Berlin 1994) nachwiesen, zusammen mit Logenchef Licio Gelli, einem Altfaschisten Mussolinis, und dem Mediendiktator Silvio Berlusconi zu ihrem sogenannten „Dreigestirn“. „Der Einfluss der Loge auf die Sozialistische Partei war für die Führerschaft Craxis von grundlegender Bedeutung. Die Regie der P2. die sie aus dem Off heraus führt, zeigt sich besonders an den riesigen Geldsummen, die der P2-Bankier Robert Calvi der Partei zukommen lässt, aber auch an der Existenz der Schweizer Nummernkonten, auf denen die durch Korruption erwirtschafteten Gelder liegen“, schrieben die Autoren. Von August 1983 bis 1987 brachte die P2 den Sozialistenchef mit Hilfe des von ihr finanzierten Medienmonopols Berlusconis, darunter drei landesweite Fernsehsender, an die Spitze der Regierung. Dieses Imperium mit seinem kaum vorstellbaren Masseneinfluss stand der ISP in der Kampagne zu den Parlamentswahlen 1983 mit dem Slogan „Craxi for President“ zur Verfügung. Craxi hatte kaum im Chefsessel des Palazzo (Sitz des Premiers) Platz genommen, als er sich bei Berlusconi revanchierte, indem er Forderungen nach einer gesetzlichen Beschränkung von dessen Fernsehmonopol abschmetterte und es per Regierungsdekret absicherte. Damit wurde die Grundlage für den Aufstieg Berlusco­nis zum Medientycoon gelegt, den die P2 nach dem „Ausfall“ Craxis 1994 an die Spitze der Regierung hievte.

Die Bestechung der Oberschichten

Die IKP, in der die Revisionisten nach dem Tod des Generalsekretärs Enrico Berlinguer im Juni 1984 die Führung an sich gerissen hatten, wollte sich, wie der neue Parteichef Alessandro Natta auf dem Kongress im April 1986 vorschlug, mit der Partei Craxis, dessen Korruptionspraxis schon zu dieser, wenn auch noch nicht prozessreif, bekannt war, zu einer neuen Linkspartei vereinigen. Der ISP-Chef lehnte jedoch ab,

Für die ISP, die 1992 ihren 100. Jahrestag feiern wollte, wurden die Korruptionsprozesse zum Todesjahr. Die Zahl ihrer Mitglieder, die sie in den 80er Jahren mit 580 000 angab, sank 1993 unter die Hunderttausend. Bei den Parlamentswahlen im März 1994 fiel die Partei, die noch im Frühjahr 1992 auf 13,6 Prozent gekommen war, auf 2,2 Prozent ab. Nicht besser erging es der DC, die zusätzlich zu den Korruptionsaffären im März 1993 durch die Anklage gegen ihren mehrmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti wegen Komplizenschaft mit der Mafia und Verwicklung in das Mordkomplott der CIA gegen Aldo Moro schwer angeschlagen wurde. Um einem Versinken in der Bedeutungslosigkeit zu entgehen, verkündete der als Parteilinker angesehene Mino Martinazzoli im Juli 1993 eine Neugründung unter dem Namen Partito Popolare (Volkspartei). Obwohl es nicht viel mehr als eine Namensänderung war, gelang es der auf dem Katholizismus beruhenden Partei, von den 29,7 Prozent, die sie 1992 erreichte, 1994 dann 11,1 Prozent zu retten.

Am Fall Craxis bestätigte sich wieder einmal, wie höchst aktuell Lenins Einschätzung ist, dass die „Bestechung der Oberschichten des Proletariats“ den Opportunismus „nährt, formt und festigt“. (LW, Bd. 22, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“)

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"Bis heute größter Korruptionsskandal", UZ vom 22. Dezember 2017



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