Billige Kampagne

Ein Kommentar von Ali Ruckert

Ali Ruckert, Vorsitzender der KP Luxemburg

Ali Ruckert, Vorsitzender der KP Luxemburg

Jetzt ist sie wieder da, die „Gelbe Gefahr“. Weil China sich zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten entwickelt, riefen die Stahlkonzerne aus den Ländern der Europäischen Union ausgerechnet die Stahlarbeiter, die sie während der vergangenen Jahre respektlos behandelten und deren Arbeitsplätze sie des lieben Profits willen zehntausendfach vernichteten, für den 15. Februar in Brüssel zu einem Marsch gegen den „Billigstahl“ aus China auf. Die Interessenvertretung der Hüttenherren, Eurofer, spricht von 330 000 Arbeitsplätzen, die auf dem europäischen Kontinent in Gefahr seien, und fordert Maßnahmen, die verhindern sollen, dass der „europäische Markt“ durch billige chinesische Importprodukte „zerstört“ wird.

Warum die antichinesische Kampagne ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erfolgt, hat nicht nur damit zu tun, dass die Überproduktionskrise im Stahlbereich weiter anhält, sondern steht in direktem Zusammenhang damit, dass die EU China, 15 Jahre nach dessen Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO, noch in diesem Jahr als „Marktwirtschaft“ anerkennen muss, so dass chinesische Waren nicht länger durch Zölle verteuert werden dürfen.

Zu jenen, die am lautesten „Haltet den (chinesischen) Dieb!“ schreien, gehört ausgerechnet der Stahlkonzern ArcelorMittal, der innerhalb von weniger als zehn Jahren zu einem der am höchsten verschuldeten Rohstoffkonzerne wurde. Doch das hat nichts mit den Chinesen zu tun, sondern mit dem Kapitalisten Mittal, der 2007 nicht nur den Stahlkonzern Arcelor kaperte, sondern seither mit geliehenem Geld in allen Erdteilen Hüttenwerke, Erzminen und Kohlegruben einkaufte, um noch mächtiger zu werden und alle Konkurrenten auszustechen.

Aber Herr Mittal, der nicht mit der Wimper zuckte, als er, sekundiert von lokalen Wasserträgern, die Hüttenwerke in Florange, Lüttich und Schifflingen schloss, hatte die Rechnung ohne die kapitalistische Krise und den Verfall der Stahl- und Rohstoffpreise gemacht, so dass manche Zukäufe zu einem Klotz am Bein des Konzerns wurden, und der Schuldenberg nicht kleiner wurde.

Der Rekordverlust von 7,9 Milliarden Dollar im Jahr 2015 – der höchste seit 2007 –, die Entscheidung, eine milliardenschwere Kapitalerhöhung vorzunehmen, um die Verschuldung auf 12 Milliarden zu senken, die Ankündigung, keine Dividende auszuzahlen und die Prognose, dass das Bruttoresultat 2016 noch niedriger ausfallen dürfte als ein Jahr zuvor, haben dazu geführt, dass die Aktie von ArcelorMittal regelrecht abstürzte, so dass der weltgrößte Stahlkonzern inzwischen weniger wert ist als der Freizeitparkbetreiber Legoland.

Demnach stehen stürmische Zeiten bevor, in denen ArcelorMittal weitere Stahlbetriebe und Gruben verkaufen oder schließen und Investitionen streichen wird, um die Schulden abzutragen und die milliardenschweren Schuldzinsen zu senken.

Was aber, wenn Herr Mittal sich erneut verspekuliert hat, der Schuldenabbau nicht oder nur in ungenügendem Maße gelingt, und das Bruttobetriebsresultat so weit zurückgehen wird, dass eine Kreditlinie in Höhe von sechs Milliarden, die nur gezogen werden kann, wenn ein bestimmtes Verhältnis zwischen Nettoschulden und Betriebsergebnis gewahrt wird, nicht mehr in Anspruch genommen werden kann? Wird dann alles den Bach hinuntergehen oder zum Verkauf anstehen?

Diese Entwicklung zeigt einmal mehr, dass die Stahlproduktion zu wichtig ist, um sie Kapitalisten zu überlassen, die im großen Spiel um Macht und Profit die Interessen der Schaffenden und der Gesellschaft nicht wahrnehmen, geschweige denn Rücksicht darauf nehmen würden.

Vergesellschaftung und Produktionsplanung sind eben keine ideologischen Größen, sondern Fragen der Vernunft und des Überlebens.

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"Billige Kampagne", UZ vom 19. Februar 2016



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