Helmut Rau hat gemalt, was er sah und was er fühlte

Bilder aus Liebe zu den Menschen

Von Margret Krützner/Manfred Idler

Man schreibt das Jahr 1955. Ein junger Mann im Gefängnis, er malt. Sein erstes Ölbild entsteht, ein Stillleben. Es zeigt einen Blechbecher, darauf die Nummer 409, ein Brettchen, einen Apfel, eine Zwiebel und ein kleines Messer. Das „Verbrechen“, das ihn in den Knast gebracht hat: Mitgliedschaft in der verbotenen „Freien Deutschen Jugend“. 1949 ist er der FDJ beigetreten, später auch der KPD. Der junge Mann heißt Helmut Rau. Acht Monate sitzt er hinter Gittern, dann wird er auf Bewährung entlassen. Harte Zeiten.

Andere als harte Zeiten kannte der junge Kommunist nicht. 1932 wurde er in der Hattinger Oberstadt geboren, nahe der Henrichshütte. Der Vater war Hüttenarbeiter, die Mutter kümmerte sich zu Hause. Als er sieben ist beginnt der Krieg. Zwölfjährig wird er an den Bodensee verschickt, „Kinderlandverschickung“ nannte sich das. Die Kinder aus dem Ruhrgebiet, dem Dauerziel alliierter Bomber, sollten aus den Städten heraus und dorthin, wo es sicherer schien.

1945, der Krieg war aus, geht es zurück nach Hause. Teils in überfüllten Zügen, zwischendurch zu Fuß. Kinder, Soldaten, befreite KZ-Häftlinge, entwurzelte Menschen, alle sind erschöpft, alle wollen nach Hause. Das Schienennetz ist zerstört, es gibt lange Aufenthalte und viel zu wenig, um den Hunger zu stillen und den Durst. Als Helmut endlich zu Hause ankommt, findet er die Hattinger Oberstadt zerstört vor. Das Hüttenwerk steht aber noch.

Nach der Volksschule findet er eine Lehrstelle als Anstreicher und Lackierer bei einem Malermeister. „Unser Berufsschullehrer hat mit uns Hände gemalt“, erinnert sich Helmut. Hände, Fäuste, gereckte Arme an Maschinen und Fahnenstangen finden sich später immer wieder in seinen Bildern.

Nach der Lehre kann ihn der Meister nicht übernehmen. Er geht für ein Jahr auf Wanderschaft an den Bodensee und ins Allgäu. Dort erkennt ein Malermeister das Talent des Jungen, er rät ihm zu malen und zu zeichnen. Und so beginnt Helmut in Mutters Küche und auf dem Dachboden Linolschnitte zu schneiden und abzuziehen: den durstigen Ofenarbeiter, den Bergmann mit der Stirnlampe, später auch komplexe Themen wie Kampf und Unterdrückung. Dann bekommt er einen Arbeitsplatz auf der Hütte. Zunächst als dritter Mann am Siemens-Martin-Ofen, später als Kranführer. Und er macht Skizzen, von denen viele zu Bildern werden.

Auf dem Weg zur Arbeit, in den Pausen, am Familientisch wird über Politik gesprochen. Adenauer will wieder eine Wehrmacht aufstellen, Rüstungsprojekte sind angelaufen. Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten steht nicht auf seiner Liste, die Sowjetunion wird so dargestellt, als hätte sie Hitlerdeutschland überfallen. Die Menschen sind gegen Aufrüstung und Militär, aber zu wenige wehren sich sichtbar.

Er wirbt für Völkerverständigung und Freundschaft und engagiert sich an den Vorbereitungen für die „Weltfestspiele der Jugend und Studenten“: Berlin, Bukarest, Warschau. Er malt Transparente, sammelt junge Menschen. Dann erfolgt das Verbot der FDJ, Festnahme, die Verurteilung.

Nach der Haftentlassung nimmt er sein Leben wieder auf. In seiner freien Zeit entstehen neue Bilder und Skizzen. 1956 erfolgt das Verbot der KPD. Mitglieder der Partei und viele andere, die sich für Frieden und soziale Rechte einsetzen, werden verfolgt und verhaftet. So wird der Widerstand mundtot gemacht.

1958 heiratet Helmut Rau, ein Jahr später kommt der Sohn zur Welt, der den gleichen Namen erhält wie sein Vater. Auf den muss der Kleine schon als Dreijähriger für lange Zeit verzichten. Der junge Vater wird wegen seiner Tätigkeit für die Partei wieder verhaftet. Fast zwei Jahre an Lebenszeit werden dem jungen Vater gestohlen, 23 Monate verbringt er von 1962 bis 1964 in Einzelhaft.

Wieder aus der Haft in Essen entlassen, findet er in Hattingen Arbeit als Spritzlackierer. In dieser Zeit stirbt viel zu jung seine Frau.

Die Einzelhaft und die Arbeit haben die Wirbelsäule des fast zwei Meter großen Mannes geschädigt. Helmut wird Frührentner mit einer Rente, die kaum zum Leben reicht. Er heiratet wieder, die Schwiegermutter unterstützt das Paar mit ihrer „Bergmannsrente“.

Nach einer Erholungsphase plant er wieder. Ein altes Gehöft will er zum Künstlerzentrum umbauen. Aber die körperliche Belastung ist zu groß. Das Paar zieht sich für viele Jahre zurück.

Im Sommer 1999 besuchen einige Genossinnen und Genossen die Raus. Sie finden zwei Einsiedler in einem Haus bis unters Dach voller Bilder und Regale voller Skizzen. Als Gerd Deumlich, der unvergessene Kulturfunktionär der DKP, zu „Kunstmarkt und Kunstauktion auf dem Pressefest der UZ“ aufruft, ist Helmut begeistert. Endlich können seine Freunde, Mitstreiter, Genossen sich an seinen Werken erfreuen. Er stellt sofort viele Bilder bereit, „für das Pressefest, als Spende für die Partei“. Neben Motiven wie dem Trauerzug bei Max Reimanns Beerdigung, Demonstrationen, Ostermarsch, feiernden Menschen sind sind es Blumen, Früchte, Landschaftsbilder, Porträts, Bilder, die zu Solidarität und Menschlichkeit aufrufen. Viel Raum in seinem Schaffen nahmen seine Wimmelbilder ein, vielfigurige Kompositionen, in denen eine Art „Lied auf das Leben“ gesungen wird. Sie erinnern an die Kompositionen von Heinrich Vogeler aus den 20er Jahren. „Sie sind echte Bilder der Liebe zu den Menschen“, urteilt der Kunsthistoriker und ehemalige Direktor des „Sprengel Museums Hannover“, Prof. Dr. Ulrich Krempel.

Heute wohnt Helmut Rau mit seiner schwer kranken Frau in einem Altenheim in Witten. Mit Helmuts Einverständnis sind alle Skizzen und Entwürfe, dazu 22 Acrylbilder, dem LWL-Industriemuseum Hattingen-Henrichshütte übergeben worden. Zwölf seiner Bilder hängen in seinem halben Zimmer im Altenheim. Er erfreut sich daran und gibt Besuchern und Bewunderern seiner Arbeiten gerne Auskunft.

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"Bilder aus Liebe zu den Menschen", UZ vom 12. Mai 2017



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