Die Wahl Trumps bewog den ehemaligen Generalsekretär der NATO, Anders Fogh Rasmussen, 2017 eine „Alliance of Democracies“ zu gründen, um die erwartete Führerlosigkeit der „westlichen Wertegemeinschaft“ aufzufangen. Die Alliance ruft Politiker und Unternehmer jährlich zum „Demokratiegipfel“ nach Kopenhagen. Am ersten Gipfel nahm 2018 Obamas Ex-Staatssekretär Joseph Biden teil. 2021 wurde Biden US-Präsident und riss die Führung der „demokratischen Welt“ wieder an sich. Er ruft zum virtuellen Demokratiegipfel am 9. und 10. Dezember auf und lud 112 Staaten ein, wenn man die abtrünnige chinesische Provinz Taiwan und die Institution EU mitzählt.
Die 1941 gegründete NGO „Freedom House“ gibt jährlich einen „Demokratieindex“ heraus, der die Staaten der Welt, je nach Punktezahl, als „frei“, „teilweise frei“ oder „unfrei“ klassifiziert. Polen und Ungarn, gegen die die EU wegen Rechtsstaatsverletzung vorgeht, stuft „Freedom House“ als „frei“ ein. Auch Israel, das den Palästinensern im Verstoß gegen UN-Beschlüsse das Selbstbestimmungsrecht verwehrt und sie mit Gewalt unterdrückt, wird als „frei“ klassifiziert. Die pro-westliche NGO mit einschlägiger Erfahrung in Kalte-Kriegs-Propaganda fand auf Bidens Gästeliste für den Demokratiegipfel 3 „unfreie“, 31 „teilweise freie“ und 77 „freie“ Staaten.
Biden lud Indien mit dem autoritären Präsidenten Modi, Brasilien mit Bolsonaro und die Philippinen mit Duterte zum Demokratiegipfel ein. Nicht auf der Gästeliste sind viele: China, Vietnam, Kuba, Venezuela, Nicaragua als sozialistische und/oder antiimperialistische Länder. Es fehlen Russland, der Iran und selbst das NATO-Mitglied Türkei und das EU-Mitglied Ungarn. Das Fehlen einzelner NATO-Partner täuscht vor, es gehe um Demokratie und nicht um Geopolitik. Nach formal-demokratischen Kriterien sind Modis Indien, das Brasilien Bolsonaros, die Philippinen unter Duterte oder die Ukraine aber mit Sicherheit nicht „demokratischer“ als Putins Russland.
Autoritarismus, Korruption, Menschenrechte sind die Themen. Die Spitzen von USA, NATO und EU trommeln seit geraumer Zeit für ein „Bündnis der Demokratien gegen autoritäre Staaten“. In ihrem Gefolge warben auch der deutsche Ex-Außenminister Maas und seine Nachfolgerin Baerbock für die Idee. Derlei Kampagnen auszubrüten, sie nach Billigung durch die Machtzentralen relativ autoritär von oben zu initiieren und überall durchzusetzen, gehört zu den Aufgaben des dichten Netzes personell, finanziell und bürokratisch verflochtener Thinktanks, die die „transatlantische Partnerschaft“ überwölben. Es geht um die stetige Auffrischung des Feindbildes.
Ginge es wirklich um Demokratie, gäbe es viel zu tun. Die USA als weltweit mit Abstand stärkste Militärmacht müssten ihre Außenpolitik entmilitarisieren, abrüsten, sich aus Kriegen und Interventionen zurückziehen, Sanktionen einstellen. „Demokratieexport“ durch Krieg ist Lüge oder Täuschung, wie Irak, Libyen, Afghanistan zeigen. Die Einkreisung Chinas und Russlands heizt das Wettrüsten an, behindert die Lösung sozialer und ökologischer Probleme. Demokratie braucht zuerst Koexistenz und Frieden. Sie braucht darüber hinaus Klimagerechtigkeit, Entwicklung, soziale Rechte.
Bidens Demokratische Partei trug mit ihrer neoliberalen Politik zu Trumps Wahlsieg bei. Die über Jahre aufrechterhaltene Verschwörungshysterie im McCarthy-Stil, dass Trump seinen Sieg Putin zu verdanken habe, lenkt davon ab und vertieft die Krise der bürgerlichen Demokratie der USA. Das Grundproblem aber ist, dass die völlig aus den Fugen geratene ökonomische Macht des Monopolkapitals und der Superreichen die formale bürgerliche Demokratie in allen reichen kapitalistischen Ländern konterkariert und zur bloßen Fassade macht. Reale Demokratie erfordert den antimonopolistischen Kampf und die Einschränkung der Monopolmacht.