Es gibt Kämpfe in einzelnen Betrieben, die so wichtig sind, dass die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten weltweit davon Notiz nehmen sollten. Einer dieser Kämpfe findet derzeit im Amazon-Warenlager in Bessemer, Alabama, statt. Bis zum 29. März stimmen fast 6.000 Amazon-Beschäftigte per Briefwahl darüber ab, ob sie sich der Gewerkschaft „Retail, Wholesale and Department Store Union“ (RWDSU) anschließen. Wenn sie gewinnen, könnte ihr Sieg ein Durchbruch sein. Es könnte ein erster Schritt sein, die Beschäftigten der Unternehmensgiganten, die die digitale Wirtschaft dominieren, zu organisieren und rassistische, gewerkschaftsfeindliche Gesetze rückgängig zu machen. Denn es gibt bisher keinen einzigen Amazon-Standort in den USA, der gewerkschaftlich organisiert ist. Und das Unternehmen tut alles, um sicherzustellen, dass Bessemer nicht der erste wird.
Die Amazon-Beschäftigten werden fünfmal am Tag mit Mitteilungen auf ihren Smartphones belästigt; am Arbeitsplatz hängen Propagandaposter, die die Gewerkschaft schlecht machen sollen; der Arbeitstakt derjenigen, die für die Gewerkschaft werben, wurde so verändert, dass ihnen die Möglichkeit, mit anderen Beschäftigten zu sprechen, erschwert wird. Ständig werden Versammlungen abgehalten, um den Amazon-Beschäftigten zu erzählen, die Gewerkschaft sei ein gieriger Außenseiter, der darauf aus sei, seine Krallen in die Gehaltsschecks der Arbeiter zu schlagen.
Eine aalglatte Firmenwebseite behauptet, dass eine Gewerkschaft „ein Unternehmen ist, das mit Beiträgen Geld verdient“, sie bringe keine besseren Löhne und Leistungen. Die Arbeiter können den gewerkschaftsfeindlichen Botschaften nicht einmal entkommen, wenn sie auf der Toilette sitzen – in jeder Kabine hängen Flyer des Unternehmens, die zu einer „Nein“-Stimme aufrufen.
Amazon versuchte zudem, die Mitarbeiter an einer Briefwahl zu hindern. Die Konzernleitung wollte durchsetzen, dass die Beschäftigten trotz Pandemie persönlich und in ihrer Freizeit zur Abstimmung erscheinen müssen. Doch die für die Einhaltung des Arbeitsgesetzes zuständige Bundesbehörde schritt ein.
Das Lager in Bessemer, einer ehemaligen Stahlstadt, ist neu. Es wurde erst im April 2020 eröffnet. Aber seither haben die Arbeiterinnen und Arbeiter bereits die volle Amazon-Erfahrung gemacht: Die lächerlich niedrige Gefahrenzulage von zwei Dollar pro Stunde, die sie zu Beginn der Pandemie erhielten, wurde im Juni gestrichen – zur gleichen Zeit, in der CEO Jeff Bezos sein Vermögen um 75 Milliarden Dollar vergrößerte. Das Coronavirus hat den Amazon-Mitarbeitern schwer zu schaffen gemacht, da es so gut wie unmöglich war, Abstand zu halten. Amazon gibt zu, dass sich im vergangenen Jahr 20.000 Mitarbeiter mit COVID-19 infiziert haben. Die tatsächliche Zahl liegt sicherlich höher. Niemand kann sagen, wie viele daran gestorben sind.
Als die Angestellten eines Lagerhauses in Staten Island, New York, im vergangenen März auf die Straße gingen, um gegen unsichere Arbeitsbedingungen zu protestieren, schlug das Management zurück und feuerte einen von ihnen. In Shakopee, Minnesota, wurde ein anderer Arbeiter, Farhiyo Warsame, im Oktober entlassen, weil er sich über das Fehlen von persönlicher Schutzausrüstung und erzwungene Beschleunigungen beschwert hatte, als die Weihnachtszeit nahte.
Teilzeitbeschäftigten von „Whole Foods“ – Amazons Lebensmittelabteilung – wurde kurz vor dem Ausbruch der Pandemie die Krankenversicherung entzogen. Letzten Sommer, als die Proteste von „Black Lives Matter“ das Land erschütterten, wurden Whole-Foods-Beschäftigten, die sich solidarisierten, indem sie Buttons trugen, entlassen. Gleichzeitig beteiligte sich Amazon wie auch andere Unternehmen an der großen öffentlichen Marketing-Show zur Unterstützung von „Black Lives Matter“. Zudem gab es Berichte, dass muslimischen Beschäftigten, die als Packer für Amazon arbeiten, Urlaub zu ihren höchsten Feiertagen verweigert wurde.
Im Februar wurde der Konzern dann von der Handelsbehörde („Federal Trade Commission“) eine Strafzahlung von 62 Millionen Dollar auferlegt, weil er Trinkgelder von „Amazon Flex“-Lieferfahrern gestohlen hatte. Anstatt das Trinkgeld weiterzugeben, das die Kunden den Fahrern per App zukommen lassen wollten, behielt Amazon das Geld einfach.
Sollte die Gewerkschaft die Abstimmung der Amazon-Beschäftigten in Bessemer für sich entscheiden, wird es den Arbeitern dort unmittelbare Vorteile bringen. Sie werden endlich eine Stimme haben, wenn es um unverschämte Arbeitsquoten und die Erhöhung des Arbeitstempos geht. Mit einem Gewerkschaftsvertrag besteht die Möglichkeit, einen Ausschuss für Arbeitsschutz zu gründen, um die Sicherheitsstandards für das Lagerhaus zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen. Amazon könnte Beschäftigte nicht mehr „nach Belieben“ entlassen, wenn diese sich über Probleme am Arbeitsplatz beschweren. Das Management wäre gezwungen, angebliche Richtlinienverstöße nachzuweisen und müsste Entlassungen oder Disziplinarmaßnahmen rechtfertigen. Darüber hinaus ermöglicht die gewerkschaftliche Organisierung die Aufnahme von Kollektivverhandlungen, um über Löhne und Leistungen zu verhandeln.
Aber die Bedeutung eines Sieges in Bessemer geht über dieses eine Lager hinaus: Wenn die Beschäftigten hier gewinnen können, könnte dies Auswirkungen auf Hunderttausende, sogar Millionen anderer Arbeiterinnen und Arbeiter haben.
Amazon ist einer der größten Akteure in der digitalen Wirtschaft und hat seine Hände überall im Spiel, vom Online-Einzelhandel über Lebensmittelläden, Logistik und Lieferung bis hin zu Cloud-Diensten und Webhosting. Es ist zudem eines der gewerkschaftsfeindlichsten Unternehmen überhaupt. Ein Durchbruch in einem Amazon-Lagerhaus öffnet die Tore für die Organisierung hunderter anderer Standorte – und würde damit die bisher unangefochtene Macht von Bezos und der Milliardärsklasse bremsen. Es handelt sich darüber hinaus um einen Kampf um Bürgerrechte: Fast 85 Prozent der Menschen, die in diesem Amazon-Lagerhaus arbeiten, sind Schwarze – in einem Bundesstaat, der im Herzen der alten Konföderation liegt.
Übersetzung und Bearbeitung: Lars Mörking