Schon kurz nach dem Anschlag auf eine ver.di-Streikkundgebung am vergangenen Donnerstag in München entbrannte der Kampf um die Deutungshoheit. Der Täter, ein 24-jähriger Afghane, sei ausreisepflichtig gewesen und aufgrund von Ladendiebstählen und Betäubungsmitteldelikten polizeilich bekannt, erzählte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Diese Falschinformationen wurden durch die gesamte Republik gejagt, während die medizinische Versorgung der 39 verletzten Opfer des Anschlags anlief.
Am Wochenende erlagen eine Kollegin und ihre zweijährige Tochter ihren Verletzungen. Die trauernde Familie wandte sich an die Öffentlichkeit, wies darauf hin, dass die verstorbene Mutter für Solidarität und Gleichheit, für Arbeiterrechte und gegen Fremdenfeindlichkeit aktiv gewesen war. „Wir möchten bekräftigen, dass der Tod und der Verlust nicht benutzt werden, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren“, hieß es in der Erklärung.
Zu diesem Zeitpunkt war der Anschlag längst zum festen Bestandteil von Wahlkampfreden und Gegenstand rassistischer Hetze geworden. Aber es gab auch Solidarität: Noch am Donnerstag hatten sich Kolleginnen und Kollegen versammelt, um ihre Trauer, aber auch ihre Wut auf die Medien, die bayerische Staatsregierung und auf Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auszudrücken. Am Sonntag erwiesen knapp 600 Menschen dem Wunsch der Familie Respekt, als sie gegen eine AfD-Veranstaltung in der Nähe des Tatorts demonstrierten. Knapp 100 bildeten eine Menschenkette, damit Angehörige, Freunde und Kollegen der Opfer unbehelligt trauern konnten.
Der Großteil der wahlkämpfenden Bundespolitik zeigt hingegen wenig Interesse an einem Ende der Instrumentalisierung. Die Kernfrage nach den Fluchtursachen wird dabei großräumig umschifft. 20 Jahre lang führte die NATO Krieg in Afghanistan, mit Beteiligung deutscher Soldaten. Millionen Menschen wurden gewaltsam vertrieben und traumatisiert. Diese Geschichte bleibt unerzählt, wenn in Bierzelten und an Wahlkampfständen nach Massenabschiebungen in das zerrüttete Land gerufen wird. Doch wer über Krieg, Waffenexporte und Hochrüstung nicht sprechen will, sollte von Asylpolitik schweigen.