Immerhin wissen diejenigen, die Ende März aus heiterem Himmel heraus Post vom niedersächsischen Innenministerium bekommen haben, nun Bescheid: Im schönsten Behördendeutsch teilte ihnen per Brief Merle Herwarth von Bittenfeld mit, dass „die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben hat. Dabei wurden auch personenbezogene Daten zu Ihrer Person erhoben.“
Frau Herwarth von Bittenfeld – Sproß einer der ehrwürdigsten Generalsdynastien, die in jedem deutschen Krieg der letzten 200 Jahren mitgeschlachtet hat – gibt den Empfängern nun immerhin Gewissheit, dass gegen sie im Namen des Volkes Spitzel, Telefonabhörschaltungen und andere „nachrichtendienstliche Mittel“ eingesetzt wurden. Die meisten der Angeschriebenen wird das nicht überrascht haben.
Trotz Nachfragen nicht nur von linken Medien, sondern auch der konservativen „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, die neben anderen Zeitungen berichtete, war das Ministerium nicht zu bewegen, doch wenigstens zu benennen, wie viele im Adressdatensatz für dieses Anschreiben gestanden haben. Sicher ist: Die Gewerkschaftssekretärin Maren Kaminski (GEW), die früher als Landesgeschäftsführerin der Partei „Die Linke“ tätig war, ist ebenso dabei wie weitere Mitglieder dieser Partei und mindestens sechs Genossinnen und Genossen der DKP.
Die nun entdeckte Ehrlichkeit ändere, so bemerkte deren Vorsitzender Patrik Köbele in einer Erklärung vom 7. April, „nichts am Skandal der verfassungswidrigen Bespitzelung von Demokraten“. Der Vorgang steht in der Tat in der Tradition der Berufsverbote, die vor allem hunderten von Mitgliedern der DKP ihre berufliche Existenz zerstört haben, und der Verfolgung von Funktionären, die sich um den Aufbau der DDR verdient gemacht haben. Historisch reihe sich das, so Köbele, ein in die „Inlandsgeheimdienste seit der Weimarer Republik“. Da helfe nur eines: „Die Auflösung des Verfassungsschutzes.“
Die Briefkampagne des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD) wird Folgen haben. Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende der Partei „Die Linke“, forderte eine „Entschuldigung“ von ihm, die sie vermutlich nicht bekommen wird, und Kaminski sowie ein betroffener Göttinger Soziologe haben den Rechtsanwalt Sven Adam beauftragt, ein Auskunftsersuchen zu starten, um wenigstens herauszubekommen, nach welchen Kriterien diese Spitzelei und ihre jetzige öffentliche Bekanntgabe erfolgt sei.
Sabine Frieden-Paland, seit 1974 Mitglied der DKP in Oldenburg, ist eine von denen, die nun offiziell wissen, dass sie bespitzelt wurden. Sie berichtete in einem Interview für die „junge Welt“, dass in den siebziger Jahren in Mitgliederversammlungen der DKP Leute des Verfassungsschutzes eingeschleust worden seien, „die dort Protokoll geführt haben“, und erzählt von einem Genossen, dessen „bester Freund vom Verfassungsschutz rekrutiert wurde“. Es sei davon auszugehen, dass sie und andere über viele Jahrzehnte ununterbrochen beobachtet worden seien.
Wenn das so ist, hat diese unwürdige Praxis vielleicht sogar noch eine gute Seite: Wenn es eines Tages gelänge, die Archive des niedersächsischen Verfassungsschutzes vor ihrem Schreddern zu öffnen, gäbe es über die Tätigkeiten vieler Genossinnen und Genossen, die selten Zeit hatten, ihre eigenen Tätigkeiten zu archivieren, eine lückenlose Chronik des Kampfes. Das wäre dann gutes Material für Historiker – zum Beispiel für solche, die an der Ausübung ihres erstrebten Berufes durch eben diese Praxis gehindert wurden.