2019 und 2020 gehört die Bundesrepublik zu den zehn nichtständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, ebenso wie Belgien. Zusammen mit den ständigen Mitgliedern Frankreich und Britannien sind bis zum Brexit vier EU-Staaten in dem Gremium. Eine neue Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sieht dies als Gelegenheit und Herausforderung für die Bundesregierung, „mehr europäische Autonomie“ in der Weltpolitik zu üben. Wie nimmt sie diese Rolle wahr? Ihr Umgang mit dem Iran-Atomabkommen, mit der Kündigung des INF-Vertrags, ihr Agieren beim Putschversuch in Venezuela und im Handelskonflikt USA-China lässt nichts Gutes ahnen.
Das Iran-Abkommen sah vor, dass der Iran auf den Bau der Atombombe und der Westen auf Iran-Sanktionen verzichtet. Als die USA es 2018 aufkündigten, beteuerten alle übrigen Partner, darunter Deutschland und Frankreich, sie wollten am Abkommen festhalten. Kurz darauf signalisierten jedoch die Großkonzerne derselben Länder, von Total bis Siemens, sie würden die US-Sanktionen gegen den Iran einhalten, um ihren Zugang zum US-Binnenmarkt nicht zu gefährden.
Der INF-Vertrag verbot Russland und den USA die Stationierung landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen, durch die ein Atomkrieg auf europäischem Boden „führbar“ würde. Als die USA Ende Januar aus dem Vertrag ausstiegen, schloss sich die Bundesregierung der Rechtfertigungspropaganda der NATO für die Kündigung an. Rumänien und Polen bauen längst an Systemen, die auch Marschflugkörper starten können. Altmaier und von der Leyen sehen die Raketenstationierung als „Option“. Maas will „einen neuen Vertrag unter Einbeziehung Chinas“. Die chinesische „Global Times“ entlarvte dies umgehend als Versuch einer „Entlastung der USA“.
Beim jüngsten Putschversuch in Venezuela unterschied sich die „strategische autonome“ Position der EU von der der USA dadurch, dass die USA Guaidó sofort als Interimspräsidenten anerkannten und eine Koalition der Willigen der EU dies erst nach Verstreichen eines einwöchigen Ultimatums tat. Zudem will Mogherini namens der EU über eine „friedliche Transition“ verhandeln, während Guaidó und die US-Regierung Verhandlungen für Zeitverschwendung halten. Der Unterschied ist nur verbaler Natur, da sowohl die EU wie auch die USA die „Präsidentenneuwahl“ mit Druck und Sanktionen erreichen wollen. Venezuela verlegte den Europasitz des Ölkonzerns PDVSA von Lissabon nach Moskau und entzog ihn so dem Zugriff von EU-Staaten.
Positioniert sich die exportabhängige BRD im Handelskonflikt USA-China gegen Trumps Protektionismus? Zwar wendet sich das Grundsatzpapier des Bundesverbands der Deutschen Industrie zu China gegen eine (angeblich in den USA diskutierte) „generelle Entflechtung der ökonomischen Beziehungen“ zu China und plädiert für Austausch und Kooperation. Zugleich erklärt es China zum „Systemwettbewerber“, gegen den es sich zu schützen gelte. Dazu soll Deutschland in der EU für eine „ehrgeizige Industriepolitik“ wirken und mit der „Interessen- und Wertegemeinschaft“ G7 einheitliche „Standards für Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, die Marktwirtschaft und das internationale regelbasierte Handelssystem“ setzen.
Die in der EU dominierenden deutschen Monopole wollen auf dem großen Binnenmarkt der USA präsent bleiben. Dank gemeinsamer Klasseninteressen mit dem US-Monopolkapital sehen sie die eigenen Expansionsinteressen im aggressiven NATO-Bündnis am besten aufgehoben. Die EU, gespalten in Kerneuropa, Süd- und Ostflanke, lässt sich nur in und mit der NATO zusammenhalten. Der Anteil der USA wie auch der der EU am Welt-BIP schrumpft. Daher ist der Spielraum für „mehr strategische Autonomie der EU“ bescheiden und es deutet viel auf eine noch stärkere Schließung der Reihen der NATO hin, in der Frontstellung gegen Russland und China.