Nach Ablauf der Friedenspflicht in der Nacht zum vergangenen Samstag haben im ganzen Bundesgebiet Kolleginnen und Kollegen aus der Metall- und Elektroindustrie machtvoll auf das völlig unzureichende Angebot der Branchenbosse reagiert. Von Bayern bis zur Küste legten sie teilweise die Produktion still, Tausende beteiligten sich an Kundgebungen der IG Metall.
Der Leiter des IG-Metall-Bezirks Südwest und Verhandlungsführer, Roman Zitzelsberger, bilanzierte: „Das war ein gelungener Auftakt, der die Arbeitgeber den Unmut der Beschäftigten spüren lässt. Und das war nur der Anfang.“ Ein ebenso positives Fazit zog die IG Metall Berlin, Brandenburg, Sachsen nach dem ersten Warnstreiktag ihres Bezirks, am dem rund 1.600 Metallerinnen und Metaller in Berlin für eine oder mehrere Stunden die Arbeit niedergelegt hatten. IG-Metall-Verhandlungsführerin Irene Schulz machte deutlich: „Wir brauchen den Konflikt nicht. Aber wir können ihn, wenn es nötig wird.“
Dass die Kolleginnen und Kollegen finanziell mit dem Rücken an der Wand stehen, erfahren sie täglich beim Einkauf. „Die Verbraucherpreise sind im Oktober schneller gestiegen als jemals zuvor im vereinigten Deutschland“, meldete „tagesschau.de“ in der vergangenen Woche. Laut der vorläufigen Schätzung des Statistischen Bundesamts lag die Inflationsrate im laufenden Monat bei 10,4 Prozent. Während immer mehr Menschen infolge der extremen Preissteigerungen nicht mehr wissen, wie sie das Lebensnotwendige wie Heizung und Lebensmittel finanzieren sollen, erzielen große Konzerne Rekordgewinne. In der Vergangenheit wurde diese Entwicklung für gewöhnlich mit dem Slogan „Gemeinsam durch die Krise“ und dem Hohelied auf die „Sozialpartnerschaft“ mühsam kaschiert. Angesichts von Krieg und Krise wird auf derartige Folklore auch schon einmal verzichtet.
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die aktuelle Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Sechs Wochen lang wurde bei dreiundzwanzig Verhandlungsterminen die Forderung der IG Metall nach 8,0 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten von der Kapitalseite schlicht ignoriert. Erst kurz vor Ablauf der Friedenspflicht wurde von Gesamtmetall eher eine Provokation als ein Angebot vorgelegt. Es ist eine Kriegserklärung an die arbeitenden Menschen und ihre Gewerkschaft. Drei Jahre pandemiebedingte „Streikabstinenz“ scheint bei der Kapitalseite den Irrglauben genährt zu haben, dass Gewerkschaften nicht mehr arbeitskampffähig und -willig sind.
Auch die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes beim Bund und den Kommunen wirft ihre Schatten voraus. Ab Januar 2023 verhandelt ver.di für 2,5 Millionen Beschäftigte. Die Gewerkschaft fordert für die Erzieherinnen, Müllwerker, Busfahrerinnen und Feuerwehrleute 10,5 mehr Gehalt – mindestens aber 500 Euro.
Dass die Warnung vor einer Lohn-Preis-Spirale ökonomischer Unfug ist, erklärt ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel: „Kräftige Lohn- und Gehaltszuwächse sind das beste Mittel gegen steigende Lebenshaltungskosten. Wirtschaftsliberale Ökonomen sehen das naturgemäß anders. Die hohen Tarifforderungen von ver.di und IG Metall sind ein willkommener Anlass, um vor einer drohenden Lohn-Preis-Spirale zu warnen.“ Für das laufende Jahr werde ein republikweiter Tariflohnzuwachs von 3 Prozent erwartet. Dies bedeutet einen Reallohnverlust von 5 Prozent. „Von Lohn- und Preisdruck ist weit und breit keine Spur. Zudem gibt es keinen Automatismus zwischen steigenden Preisen und Löhnen. Für die Preise sind immer die Unternehmer verantwortlich.“
Neben dem Kampf in den Betrieben wird in der aktuellen Situation zusätzlich Druck auf politischer Ebene notwendig sein. Es ist nicht abzuschätzen, in welchem Ausmaß die Energie- und Lebensmittelpreise in den nächsten Monaten weiter steigen werden. Schon jetzt werden die aktuell geforderten Lohnerhöhungen allein die Reallohnverluste nicht ausgleichen können. Daher sind Demonstrationen wie jüngst für eine weitere Energiepreispauschale, einen Gas- und Stromdeckel, ein Kündigungsmoratorium zum Schutz von Mietern, eine Besteuerung von Übergewinnen und nicht zuletzt ein gerechteres Steuersystem, wie vom DGB gefordert, sinnvolle Maßnahmen, um die schlimmsten Folgen von Krise und Inflation abzumildern. Soll die Krisenbekämpfung jedoch über reine Symptombehandlung hinausgehen, müssten auch die eigentlichen Ursachen erkannt und benannt werden. Dies sind der Stellvertreterkrieg in der Ukraine und der Wirtschaftskrieg gegen Russland und die damit verbunden Sanktionen.