Über 200.000 Pflegefachkräfte in NRW hätten sich bis zum 21. Dezember für eine Zwangsverkammerung, also eine Zwangsmitgliedschaft in der Pflegekammer, registrieren lassen müssen. Das taten sie mehrheitlich offensichtlich nicht, folglich hat der „Errichtungsausschuss“ für die Pflegekammer in Nordrhein-Westfalen Mitte Dezember 2021 den geplanten Wahltag zur Kammerversammlung am 1. März 2022 mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Er folgte damit der Entscheidung des nordrhein-westfälischen Landtags vom 15. Dezember, der per Gesetz die Wahl der Kammerversammlung auf spätestens Ende Dezember 2022 verschob. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit einer verlängerten Anschubfinanzierung durch das Land bis zum Jahr 2027 geschaffen, die eine Beitragsfreiheit für Kammermitglieder einräumt. Bis 2027 soll die Pflegekammer mit rund 50 Millionen Euro aus Steuermitteln finanziert werden.
„Wir lassen uns von dieser vorübergehenden Beitragsbefreiung nicht täuschen“, erklärte ver.di-Landesleiterin Gabriele Schmidt. Diese sei nur eine Beruhigungspille für die Kritikerinnen und Kritiker der Pflegekammer. Das Problem der ausreichenden Personalausstattung in der Pflege und der angemessenen Bezahlung der Beschäftigten werde durch die Schaffung einer Pflegekammer nicht gelöst.
ver.di NRW wertet die Verschiebung der Wahl und die Beitragsfreiheit als einen ersten Teilerfolg der Pflegeproteste. Die Beitragsfreiheit werde jedoch nicht von Dauer sein, denn diejenigen, die die Schaffung einer Pflegekammer vorangetrieben hätten, äußerten stets, dass nur die Selbstfinanzierung durch Beiträge die Unabhängigkeit der Kammer sichern kann.
„Die Politik muss jetzt unverzüglich eine Urabstimmung über die Zukunft der Pflegekammer in NRW einleiten!“, fordert Katharina Wesenick, ver.di-Fachbereichsleiterin für Gesundheit und Soziales in NRW. „Alle Pflegefachkräfte sollten befragt werden, ob es eine Pflegekammer geben soll.“ Alles andere sei unsinnig und eine Verschwendung von öffentlichem Geld. Die rund 50 Millionen Euro könnten besser eingesetzt werden, um mit der Lösung der Probleme in den Pflegeeinrichtungen zu beginnen, so Wesenick.
ver.di hatte bereits in der Anhörung zum Thema Pflegekammer im Jahre 2016 die Position vertreten, dass die Urabstimmung der Pflegekräfte über eine Pflegekammer unverzichtbar sei. Die Landesregierung hat es nach wie vor versäumt, eine Vollbefragung durchzuführen und versteckt sich hinter einer „repräsentativen Befragung“ von 1.503 Pflegefachpersonen aus NRW. In diesem Bundesland sind im Pflegefachberuf jedoch etwa 200.000 Kolleginnen und Kollegen beschäftigt.
Kammer-kritische Kolleginnen und Kollegen und ihre Gewerkschaft ver.di setzen nun auf zwei Wege, um die Vollbefragung der Beschäftigten zu erreichen: Erstens hat ver.di Listen zur Wahl der Kammer aufgestellt. ver.di-Vertreterinnen und -vertreter sollen sich nach ihrer Wahl innerhalb der Kammer für die Vollbefragung der Pflegekräfte einsetzen. Zweitens sollen Kundgebungen die Landesregierung dazu bewegen, vor Errichtung der Kammer die Befragung aller Betroffenen durchzusetzen. Die nächste landesweite Aktion wird am Samstag, dem 29. Januar, in der Landeshauptstadt Düsseldorf stattfinden. Pflegebündnisse aus NRW mobilisieren für eine Menschen- und Lichterkette ab 16 Uhr an der Düsseldorfer Rheinwerft zwischen der Oberkasseler- und der Rheinkniebrücke.
Das Pflegebündnis Ruhrgebiet hat zusätzlich eine Online-Petition an Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann gestartet, die bisher von über 23.500 Menschen unterstützt wird. Darin wird festgestellt, dass die Errichtung einer Pflegeberufekammer nicht Heilsbringer oder Erbringer einer berufspolitischen Stimme in einem Untergremium des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) sein kann: „Die Pflegeberufekammer NRW vertritt, in diversen Gremien, in denen sie sich vernetzt, lediglich ein Beratungsrecht und kein direktes politisches Stimmenmandat. Im Untergremium des Gemeinsamen Bundesausschusses sitzt seit Jahren der Deutsche Pflegerat e. V. am Tisch der Politik, um zu beraten.“ Der Deutsche Pflegerat und der Pflegebevollmächtigte haben jedoch in diesen zwei voneinander unabhängigen Posten und Funktionen des Bundeslandes NRW für den Pflegeberuf berufspolitisch nichts erreicht. Mit einer weiteren Installation einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unter Zwang trete die Politik lediglich ihre Verantwortung gegenüber der Pflege und ihrer Berufsangehörigen ab. ver.di bringt das auf den Punkt: „Pflege in NRW braucht keine Kammer, sondern mehr Personal!“