Die Kanzlerin will mit Jens Spahn einen ihrer heftigsten Kritiker aus den eigenen Reihen in die Regierung einbinden. Am Sonntag hatte sie die Liste der CDU-Minister in der kommenden Bundesregierung vorgestellt, Spahn soll Gesundheitsminister werden.
Der 37-Jährige (Bankkaufmann, von 2003 bis 2008 Studium der Politik- und Rechtswissenschaften), der seit 2002 im Bundestag sitzt, von 2009 bis Juni 2015 gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war und ab Juli 2015 Finanzstaatssekretär. Spahn gilt in der CDU nicht nur als einer der heftigsten Kritiker von Angela Merkel, der auch in der Jungen Union Anhänger hat, sondern als Vertreter der Konservativen. In der Öffentlichkeit wurde er 2015 vor allem durch seine heftige Kritik an der Flüchtlingspolitik Merkels bekannt. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb am Sonntag auf ihrer Internetseite: „Spahn verkörpert viel von dem, was sich ein Teil der CDU-Mitglieder wünscht.“ Und: „Es war kein Zufall, dass Spahn am Abend der österreichischen Nationalratswahl in Wien war und sich mit Kurz hat ablichten lassen.“ Spahn ist u. a. Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, Mitglied des Parlamentskreises Mittelstand und Mitglied der NATO-nahen Deutschen Atlantischen Gesellschaft.
Der „Focus“ hatte im Jahr 2012 darüber berichtet, dass Spahn vor seiner Zeit als gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion bis 2009 offiziell an der Lobby-Agentur Politas beteiligt war, die er 2006 zusammen mit seinem Freund und Büroleiter Markus Jasper und dem befreundeten Lobbyisten Max Müller gegründet hatte. Laut „Focus“ gehörten zu dem Kundenkreis von Politas hauptsächlich Unternehmen aus der Medizin- und Pharmaindustrie. Geworben wurde offenbar mit den guten Verbindungen in den Bundestag. Auch nach dieser Zeit pflegte Spahn gute Beziehungen zur Pharmaindustrie und zum Verband der der Privaten Krankenversicherungen. Die haben nun, wie der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger am Sonntag kommentierte, „einen dienstwilligen Fürsprecher im Kabinett der Großen Koalition“.
Von der alten Riege der CDU-Minister soll, wenn die große Koalition mit der SPD zustande kommt, wovon Merkel offensichtlich eine Woche vor Ende der SPD-Mitgliederbefragung ausgeht, Ursula von der Leyen (59 Jahre) bleiben. Peter Altmaier (59) soll Wirtschaftsminister werden. Monika Grütters (56) bleibt Kulturstaatsministerin. Ansonsten setzt die CDU auf „neue“ und jüngere Politikerinnen und Politiker, auf „Aufbruch“ und „Dynamik“. Helge Braun (45), promovierter Mediziner, soll neuer Kanzleramtschef werden. Er war bislang Staatsminister im Kanzleramt. Die Nominierung von Anja Karliczek (46, Betriebswirtin) für den Posten Bildung und Forschung ist eine Überraschung. Erfahrung hat sie in diesem Bereich keine. Julia Klöckner (45, Religionslehrerin) soll das Ressort Ernährung und Landwirtschaft übernehmen. Anette Widmann-Mauz (51), bislang Staatssekretärin, soll Integrationsbeauftragte werden.
Auf dem Sonderparteitag der CDU am Montag hatte Merkel dafür geworben, dem Koalitionsvertrag mit der SPD zuzustimmen – die CDU habe „hart gerungen, wir mussten Kompromisse eingehen, aber wir haben auch viel durchgesetzt“ – und die bisherige saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer als neue Generalsekretärin der Partei zu wählen. Sie wolle aber auch Lehren aus den Verlusten bei der Bundestagswahl ziehen. Kritik am Koalitionsvertrag kam vor allem von rechten Konservativen. Für ihre Rede erhielt Merkel, über die es zuvor immer wieder hieß, sie sei in Teilen der Partei stark umstritten, von den Delegierten fast fünf Minuten Beifall. In den großbürgerlichen Medien war man sich am Montag weitgehend einig, dass Angela Merkel mit ihrer Ministerliste einen Teil ihrer Kritiker zunächst einmal beruhigen konnte.