Es war ein Mammutverfahren. Der sogenannte NSU-Prozess am Oberlandesgericht München ist am vergangenen Mittwoch nach 250 Verhandlungstagen zu Ende gegangen (nach Redaktionsschluss, Anm. der Redaktion).
Sind die Urteile gegen Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten wirklich von Belang? Nein. Denn klar war von Anfang an, dass eine „umfassende Aufklärung“ der beispiellosen Mord-, Anschlags- und Raubserie, wie sie Angela Merkel den Opfern und ihren Angehörigen versprochen hatte, nicht stattfinden würde. Die Hintermänner, Unterstützer und Finanziers saßen nicht auf der Anklagebank. Die Bundesanwaltschaft (BAW) beschuldigt drei Personen, für die Taten verantwortlich zu sein. Dieses NSU-Trio habe, allenfalls unterstützt durch einige wenige Helfershelfer, die zehn Morde, zwei Nagelbombenattentate und diverse Raubüberfälle begangen. Einzige Überlebende des Trios und deshalb Hauptangeklagte: Beate Zschäpe. Die Verflechtungen der Verfassungsschutzämter mit ihren V-Leuten, die nach der Selbstenttarnung des NSU und noch während des laufenden Prozesses aufgedeckt wurden, sollten keine Rolle spielen.
Immer wieder versuchten Nebenklageanwälte Licht ins Dunkel zu bringen. Sie setzten Vernehmungen von Verfassungsschutzmitarbeitern und von V-Leuten durch. Die Mauern aber standen perfekt. Es gab kein Durchkommen durch das Dickicht von dreisten Lügen, Falschaussagen und „Erinnerungslücken“. In einer konzertierten Aktion wehrten Bundesanwaltschaft und Gericht alle Versuche ab, die Beteiligung der Staatsschutzbehörden aufzudecken. Beweisanträge wurden abgelehnt, Aktenhinzuziehungen verwehrt, die Glaubwürdigkeit unglaubwürdiger Zeugen wie z. B. Andreas Temme vom Gericht festgestellt.
Es blieb bei der bekannten Einzeltätertheorie. Wie schon beim Oktoberfest-Attentat 1980 wird auch hier nach der Maxime gearbeitet: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“ Die Staatsräson erfordert die Feststellung, dass es in der Bundesrepublik keine terroristischen rechtsextremistischen Strukturen gibt. So gut organisiert, ausgerüstet und finanziell abgesichert gäbe es sie ohne die Sicherheitsdienste auch nicht. Ein ehemaliger V-Mann äußerte sich so: „Ohne die Gelder vom Verfassungsschutz hätte die Gründung der NPD, mindestens in NRW, nie stattfinden können.“ Dasselbe gilt nach allen Erkenntnissen auch für den Aufbau brauner Kameradschaften, wie des Thüringer Heimatschutzes, der ein brauner Brutkasten für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe war.
Auch nachdem sich mindestens 24 Zeugen im Prozess als Unterstützer geoutet hatten, hielt die BAW daran fest, dass das V-Leute-System keinen Bezug zum NSU-Komplex hätte. Gegen weitere mögliche Beschuldigte würde in eigenen Staatsschutzverfahren verhandelt. Der Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler ist in seinem Plädoyer ausführlich auf die Verwicklung/Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden eingegangen. Ihm ist es zu verdanken, dass zumindest auf diesem Weg die stetige Rede vom „massiven Behördenversagen“ ad absurdum geführt wird. Die BAW unterliegt der Weisung des Justizministeriums, die Aufsicht über den Verfassungsschutz obliegt dem Bundeskanzleramt, dessen Chef bis 2005 Frank Walter Steinmeier war. Es ist davon auszugehen, dass beide Behörden ihren Weisungen Folge leisteten und leisten. Es ist also politischer Wille, wenn – statt Konsequenzen aus dem NSU-Terror zu ziehen – weiterhin Nazis gehätschelt und vor Strafverfolgung geschützt werden.
Ein anderer Aspekt, der nicht in den Prozess einging, war die Ermittlungsarbeit der Polizei. Die Morde an neun türkisch- und einem griechischstämmigen Mann wurden über Jahre als „Dönermorde“ behandelt. Angehörige der Opfer – auch die der Bombenanschläge – wurden als Tatverdächtige behandelt und diffamiert. Es gab eine eindeutig rassistische Einordnung als Taten der Türken-Mafia. Das FBI kam in einer Analyse der ihm zur Verfügung gestellten Akten zu dem Schluss, dass es sich um rassistische Morde handele. Gefahndet werden solle nach Personen, die einen Groll auf Türken hätten. Die deutschen Ermittler ließ das völlig unbeeindruckt. Wäre man diversen Zeugenaussagen nachgegangen, hätten weitere Morde möglicherweise verhindert werden können. Daimagüler nennt in seinem Plädoyer einige Beispiele für schwerste Straftaten von Rechtsradikalen, die bagatellisiert oder gar nicht erst verfolgt wurden. Und stellt Parallelen zum NSU-Verfahren fest: „Tote Migranten, Opfer, die beschuldigt werden, mangelnder Ermittlungswille in Richtung rassistisch motivierter Taten und die Verwicklung von V-Leuten.“ Mangelnder Aufklärungswille muss auch dem Gericht bescheinigt werden. Der Prozess, der nun endete, war nur eine Show-Veranstaltung.