Spitzenmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist Volker Kauder. Der Fraktionsvorsitzende hat dafür zu sorgen, dass die Kanzlerin Beifall, Zustimmung und immer eine Mehrheit bekommt. Kauder hat sich da seit 2005 bewährt. Doch insbesondere in den Auseinandersetzungen über die Europapolitik, den „Rettungsschirm“ und insbesondere um die sogenannten Griechenland-Hilfen hat er als Konsensbeschaffer Beulen bekommen. Schon 2010 lehnten fünf Abgeordnete seiner Fraktion das „erste Griechenland-Paket“ ab. Beim zweiten waren es schon dreißig. Und bei der im Juli geführten Debatte, ob denn überhaupt mit den Griechen über ein neues Paket verhandelt werden solle, waren bereits 60 Unionsabgeordnete dagegen – immerhin 20 Prozent der Fraktion. Und jetzt, 14 Tage vor der Abstimmung über ein drittes Paket, ist er äußerst dünnhäutig und nervös geworden.
In einem Interview drohte er eventuellen Abweichlern. „Diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuss.“ Erklärend fügte er hinzu, dass die Unionsfraktion Abgeordnete in Bundestagsausschüsse entsendet, die dort die Meinung der Fraktion vertreten sollen. Doch wen kann er mit seiner Drohung, die heftigen Widerspruch durch Bundestagsabgeordnete der Unionsparteien gefunden hat, gemeint haben?
Damit könnte der CDU-Abgeordnete Detlef Seif gemeint sein, Obmann im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union in der Fraktion. Der hatte mit Nein gestimmt und zu Kauders Maßregelung erklärt: „Der Ausschluss, die Herabsetzung, die Bestrafung von Fraktionsmitgliedern wirkt kontraproduktiv.“ Davon seien nicht nur 60 Bundestagsabgeordnete der Union betroffen, sondern das „gesamte Klima“. Und weiter: „Eine solche Ansage, dass diejenigen, die nicht der Fraktion folgen, wichtige Ausschüsse verlieren – ich glaube, das ist einmalig in unserer Partei, in unserer Fraktion – zumindest, dass es öffentlich so dokumentiert wird.“
Gemeint sein könnte auch Freiherr Christian von Stetten, der im Bundesvorstand der CDU die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung repräsentiert. Der widersprach Kauder so: „Das ist eine Drohung, die ich nicht nachvollziehen kann und die mich auch nicht beeindruckt. Ich bin ein frei gewählter Abgeordneter und lasse mich in einer solch wichtigen Frage wie die Griechenland-Hilfe von niemandem unter Druck setzen.“
Gemeint sein könnte auch Veronika Bellmann, die schon 2011 ihre Zustimmung zu den Milliardentransfers nach Griechenland verweigerte. Die hält es zwar für legitim, dass ein Fraktionschef versuche, „seine Truppe zusammenzuhalten“. Drohungen und Sanktionen stünden aber nicht in der Fraktionsordnung. „Wenn immer alle Nein-Sager entmachtet werden, hat die Union bald ein Besetzungsproblem.“
Gemeint sein könnte auch Alexander Funk, der die Unionsparteien im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur vertritt. Mit diesen Äußerungen disqualifiziere sich Kauder „als Vorsitzender“. Seine Einlassungen seien „für jeden Vertreter der parlamentarischen Demokratie erschreckend und beschämend.“ Schon 2013 habe Kauder unliebsame Abgeordnete abgestraft. Jetzt solle diese Methode offenbar zum Prinzip der Fraktion werden.
Einer, der diese Praxis konkret erfahren hat, ist Klaus-Peter Willsch. Er war einer der fünf Bundestagsabgeordneten der Union, die das erste Griechenland-Paket abgelehnt hatten. Er lehnte auch das zweite ab und war bis 2013 Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Danach durfte er die Unionsparteien nicht mehr vertreten. Trocken meinte er vor wenigen Tagen zu Kauders Äußerungen: „Das ist doch wenigstens ein ehrliches Wort. Nach der Neuwahl 2013 wurde immer behauptet, unser Rausschmiss aus dem Haushaltsausschuss hätte mit unserem Abstimmungsverhalten nichts zu tun.“
Kauder wird am Ende des Monats August genauer wissen, was er als Zuchtmeister der Fraktion erreichen kann. Von Mitgliedern des Fraktionsführungszirkels soll zu hören gewesen sein, dass Kauders Nerven blank liegen, „er greift zum letzten Mittel.“ Doch um das Abstimmungsergebnis der Koalition braucht er sich nicht zu sorgen. Da hat er mit der SPD einen Koalitionspartner, der sich völlig dem neoliberalen Kurs und der Austeritätspolitik unterworfen hat.
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Der Spitzenmann der SPD ist bekanntlich Sigmar Gabriel, der zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, um die SPD aus den schmählichen und katastrophalen Wahlniederlagen infolge der Agendapolitik herauszuführen. Er sieht für sich die Aufgabe, das Profil der SPD gegenüber der CDU/CSU zu schärfen und eine SPD-geführte Regierung anzustreben. Man muss Gabriel zugestehen: Er hat viel versucht, um mit Zukunftswerkstätten, mit dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, mit Konvents und mit anderen Neuerungen, die SPD voran zu bringen – geglückt ist ihm fast nichts.
Die SPD kommt seit den Agenda-Jahren nicht aus dem 25-Prozent-Keller. Aktuelle Meinungsfragen besagen: 24 Prozent SPD, 43 Prozent CDU/CSU, je 10 Prozent für die Grünen und Die Linke, je vier Prozent für FDP und AfD. Den Juniorpartner in der GroKo hat die Chefin also voll im Griff. Will die SPD überhaupt raus aus einer GroKo oder will sie sich weiterhin in der GroKo wohlfühlen?
In dem Sommer-Interview mit Torsten Albig, dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, hat dieser klar ausgedrückt, dass die Weiterführung einer GroKo nach der Bundestagswahl erstrebenswert für die SPD sein müsse. Die Kanzlerin mache eine Politik, die der der SPD doch sehr nahe sei. Und überhaupt: Angesichts der Stärke der Amtsinhaberin sollten die Sozialdemokraten überlegen, ob sie nicht auf einen Kanzlerkandidaten verzichten wollten. Sie sollten sich bei der Bundestagswahl 2017 stattdessen darauf konzentrieren, Juniorpartner in einer großen Koalition zu bleiben. Der Spruch vom Ex-Vorsitzenden Franz Müntefering scheint Grundausrichtung in der SPD geworden zu sein: Hauptsache regieren – Opposition ist Mist!
Doch Gabriel will sich offenbar von seinem Gesinnungsgenossen Albig nicht einfach zum Zählkandidaten bei der Bundestagswahl degradieren lassen.Für die Mitgliedschaft werden heere Wort gebraucht. „Mal abgesehen davon“, sagte er vor wenigen Tagen, „dass es eine große Ehre und auch Verantwortung wäre, für dieses wichtige Amt nominiert zu werden: Zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl macht es keinen Sinn, über einen Kanzlerkandidaten zu philosophieren.“ Auch einen Mitgliederentscheid über die Kanzlerkandidatur hält er für möglich, die vor der Wahl eine große Mobilisierung der Mitglieder brächte. „Dafür bräuchte es dann aber mehr als nur einen Kandidaten. Damit beschäftigen wir uns Ende 2016.“
Nun wissen wir seit der Klausurtagung des SPD-Vorstandes Anfang des Jahres, dass sowohl Gabriel als auch andere Vorstandsmitglieder erhebliche Zweifel an einem Wahlerfolg 2017 – siehe Nordlicht-Albig – angesichts der Dominanz von Merkel haben. Daher muss jetzt, in diesem Dilemma, von einem SPD-Vorsitzenden zu hören sein, dass in einer „Demokratie jeder schlagbar“ sei. Und noch mehr: die SPD werde „einen Kanzlerkandidaten aufstellen und um die Kanzlerschaft kämpfen“. Das zu hören, wird die Mitgliedschaft sicher freuen.
Gabriels Stellvertreter, Ralf Stegner, der bekanntlich die linke Klaviatur zu spielen hat, soll den noch vorhandenen Linken in der SPD Mut machen: „Es gibt deshalb für die SPD überhaupt keinen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Um nach der Wahl mitspielen zu können, brauchen wir aber 30 Prozent plus X.“ Dafür müsse die SPD aber deutlich machen: „Wir sind nicht die CDU auf freundlich.“ Der Bundespartei täte es gut, das Leitmotiv der Nord-SPD zu übernehmen „links, dickschädelig und frei“.
Stegner braucht nicht darauf zu hoffen, dass sich irgendetwas aus seinem Schleswig-Holstein-Programm in einem Wahlprogramm der SPD 2017 wiederfinden wird. Dafür steht Gabriel. Der fand das Wahlprogramm der SPD von 2013 übereinstimmend mit Peer Steinbrück als zu links. Jetzt wird der Freund Unternehmer gesucht. Das Motto heißt: Die SPD kann nur in der Mitte gewinnen.
Verdammt dickschädelig!