Es hat schon bessere Tage für die „GroKo“ in Berlin gegeben. Will man Umfragewerten glauben, so liegt die merkwürdige Koalition aus den christlichen Unionisten und den selbsternannten demokratischen Sozialisten auf aktuell unter 40 Prozent. Die SPD strebt zielgerichtet ein einstelliges Wahlergebnis an und die CDU müht sich nach Kräften, ihren nun 70 Jahre alten Erbhof, den Spitzenplatz bei den Bundestagswahlen, an die Grünen abzugeben. Am 1. September sind Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, am 27. Oktober in Thüringen, nach allem, was man weiß, dürfte das ernüchternd für die Berliner Großkoalitionäre werden.
Zeit für entschlossenes Handeln, könnte man denken. Am letzten Sonntag tagte nach der Sommerpause der Koalitionsausschuss. Probleme, die angegangen werden müssten, gibt es reichlich. Die Unzufriedenheit der Menschen mit der neoliberalen Regierung wächst. Bei keinem einzigen der Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen, wurde eine substantielle Lösung angegangen, ja nicht einmal in Aussicht gestellt. Die miserablen Umfragewerte fallen nicht vom Himmel.
Der selbstproduzierte Klimawandel, die ebenso selbstproduzierte Altersarmut, das auf Profit getrimmte Gesundheitssystem, die miserabel ausgestatteten Schulen, die verfallende Infrastruktur, die agro-industriell dominierte Landwirtschaft mit Glyphosatverseuchung und antibiotika-kontaminierter Turbofleischproduktion – seit Jahrzehnten ungelöste Probleme. Dazu die gravierenden Verkehrsprobleme durch den hemmungslosen Ausbau des motorisierten Individualverkehrs und den strukturellen Rückbau des Bahnverkehrs, die soziale und ethnische Teilung der Städte, die Gentrifizierung, die Nobel-Sanierung ganzer Stadtteile, das Verschwinden bezahlbaren Wohnraums durch die Einstellung des sozialen Wohnungsbaus, das Verschleudern kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbestände an Investmentgesellschaften, um nur einiges zu nennen. Stattdessen wird über die Aufrüstung der Bundeswehr zur Interventionsstreitmacht debattiert. Über neue Kampfflugzeuge, Panzer, ja sogar einen Flugzeugträger. Die Kriegsausgaben sollen auf 80 Mrd. Euro heraufgeschraubt werden. Die Kanzlerin und ihre Kriegsministerin möchten dort weitermachen, wo selbst die US-Kriegsmaschine so krachend gescheitert ist.
Was ist also am Sonntag herausgekommen? Nichts. Oder fast nichts. Die „GroKo“ hat sich entschlossen, wie in Kinderzeiten die Blechdosen ein wenig weiter die Straße herunter zu bolzen. Die ohnehin fast wirkungslose Mietpreisbremse soll bis 2025 weiter gelten. Mieter sollen zuviel gezahlte Miete, rückwirkend bis zu 30 Monate, auch im Nachhinein zurückfordern können. Maßnahmen, die nichts kosten und nichts bringen. Dadurch wird Wohnraum nicht bezahlbarer. Die Mietpreisbremsen-„Lösung“ steht auch im Einklang mit der „Schwarzen Null“, auf die sich die Kanzlerin mit ihrem Haushaltschef erneut verständigt hat. „Nur kein Geld ausgeben!“, bleibt die oberste Devise der „GroKo“. Gestritten wurde weiterhin darüber, ob der „Soli“ ganz oder zu 90 Prozent abgeschafft werden soll. Über die Bedürftigkeitsprüfung bei Hubertus Heils Minirente und die neue Finanzquelle CO2-Steuer. Dafür sind so revolutionäre Dinge im Gespräch wie die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Bahntickets oder die Abwrackprämie für Ölbrenner. Alles andere wurde vertagt, an Kommissionen verwiesen oder erst gar nicht thematisiert. Die Koalitionäre warten die Landtagswahlen ab, vielleicht liegt einer so richtig am Boden, dann kann so entschieden werden, wie es der nur mit Schrammen Durchgekommene lieber hat. Gott sei Dank, möchte man sagen, da wird es zumindest nicht noch schlimmer, denn beide Parteien haben keine substantiellen Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung im Plan.
So kann sich die SPD auf die Suche nach neuen Sündenböcken machen, denen man die nächsten Wahlniederlagen anhängen kann, nachdem man sie zu Vorsitzenden gemacht hat. Auf die Idee, dass selbst deutsche Sozialdemokraten nach 20 Jahren merken könnten, dass „ihre“ Partei nun seit Jahrzehnten Politik gegen ihre elementaren Interessen macht, soll ja niemand kommen. Und die Allerchristlichsten können sich auf die Koalition mit der neuen grünen Volkspartei freuen, denn wie es aussieht, wird die nächste „GroKo“ Olivgrün-Schwarz. Da ist Aufrüstung und Kriegführung kein Thema mehr. Ganz im Gegenteil: Die neue Kriegsministerin Kramp-Karrenbauer reist zu den deutschen Truppen in Jordanien und Afghanistan, betont die unbedingte Notwendigkeit, die „deutschen und europäischen Interessen“ brauchten mehr Geld. Gleichzeitig setzt AKK die Idee um, dass die Soldatinnen und Soldaten in der Heimat Freifahrtscheine bekommen. Damit soll wohl die weitere Militarisierung der Gesellschaft in der Öffentlichkeit gefördert werden, ihr Kumpel Scheuer aus dem Verkehrsministerium ist begeistert und stellt die Gelder in Millionenhöhe gerne bereit. Und ein paar Show-Einlagen fürs Öko-Label sind sicher auch noch drin. Ob das alles allerdings noch bis 2021 dauern wird, ist eine andere Frage. Das vierte Kabinett Merkel hat seine Halbwertzeit längst erreicht, man könnte auch sagen, sein Sedierungspotential aufgebraucht.