Jonas Lang, Karlsruhe, zur chinesischen Ökonomie

Bereits ein Sieg der Arbeiterklasse?

Jonas Lang

Im Antrag des PV wird behauptet, der Sozialismus hätte als Hauptaufgabe „die Entwicklung der Produktivkräfte“. In unserem Programm begreifen wir den Sozialismus als eine Gesellschaftsordnung, welche die Macht der Arbeiterklasse und verbündeter werktätiger Schichten voraussetzt. Diese Macht „gründet sich auf das gesellschaftliche Eigentum an allen wichtigen Produktionsmitteln“.

In der VR China wurde eben dieses gesellschaftliche Eigentum seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping zunächst in kleinem Umfang und dann unter Jiang Zemin und Hu Jintao verstärkt in privates Eigentum verwandelt. Heute ist in China die Arbeitskraft eine Ware und selbst in den Staatsbetrieben herrscht das Warenverhältnis. Wenn auch die Kapitalistenklasse selbst nicht an der Macht ist, so regiert doch das Wertgesetz die chinesische Ökonomie.

Sicher ist der Markt oft ein notwendiges Übel und die Warenform lässt sich nicht mit der Ergreifung der politischen Macht abschaffen – aber dennoch sollte es das Ziel einer kommunistischen Regierung sein, die ökonomische Herrschaft der Arbeiterklasse, also das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln, aus- statt abzubauen. Bei Genosse Xi Jinping klingt das in „China regieren III“ dann so: Ausbau der Marktbeziehungen, erleichterter Zugang zum Markt, Bekämpfung steigender Lohnkosten, Senkung von Steuern und Sozialabgaben für Unternehmen. Das soll eine „moderne sozialistische Gesellschaft“ sein?

Der Marktsozialismus beruht auf der Fehlannahme, sozialistisch produzierte Gegenstände müssten ihre Gesellschaftlichkeit erst noch über den Markt vermittelt beweisen, obwohl sie als gesellschaftlich produzierte Güter bereits gesellschaftlichen Charakter tragen. Die sozialistische Marktwirtschaft, der Sozialismus chinesischer Prägung, treibt diese Fehlannahme noch weiter und behauptet, der Markt sei grundsätzlich besser darin, die Entwicklung der Produktivkräfte voranzutreiben.

Dem ganzen Antrag fehlt es an einer Klassenperspektive. Produktivkraftentwicklung in wessen Sinne? Ist eine reine Steigerung der ökonomischen Macht der VR China bereits ein Sieg der Arbeiterklasse? Sicher ist die Abschaffung der (absoluten) Armut etwas Positives, dennoch ist der wirtschaftliche Aufstieg Chinas in besonderem Maße ein Aufstieg des chinesischen Kapitals, welches verstärkt auch Anteile an Staatsbetrieben besitzt.

Laut PV hat der Sozialismus zwei Hauptkomponenten: die Herrschaft der Kommunistischen Partei und die Entwicklung der Produktivkräfte. Hier ist keine Rede mehr von Produktionsverhältnissen und Revolution. Herrschaft der Partei und Entwicklung der Produktivkräfte – das geht beides auch ohne Abschaffung des Privateigentums, ohne Vergesellschaftung, ohne Revolution. Man mag sich in der Einschätzung Chinas sicher uneins sein – eine breite, vom PV organisierte inhaltliche Debatte hätte hier Klarheit schaffen können –, einig sollten wir uns aber in der Frage des Sozialismusbegriffs sein: Sozialismus heißt die politische und ökonomische Macht des Proletariats. Letztere gründet sich – wie das Programm unserer Partei festhält – auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln. Dieses ist nur herzustellen durch die Expropriation der Expropriateure, durch eine Umwälzung der Produktionsweise, welche gemeinhin auch als sozialistische Revolution bezeichnet wird.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Bereits ein Sieg der Arbeiterklasse?", UZ vom 6. Januar 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit