1924 veröffentlichte Georg Lukács die Schrift „Lenin. Studie über den Zusammenhang seiner Gedanken“. Versuchen wir zur Abwechslung einmal dasselbe mit Donald Trump.
Er ist ein Nationalist, Rassist und Sexist. Aber das reicht nicht aus, seine Politik zu erklären.
Zum Beispiel stellt er sich in eine alte Tradition der US-Außenpolitik: den Isolationismus. Dieser war bis 1917 die außenpolitische Doktrin der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie wollten sich auf die westliche Hemisphäre beschränken. Durch den Eintritt in den Ersten Weltkrieg gingen sie davon ab, kehrten nach Versailles 1919 aber dahin zurück. Unter der Parole „America first!“ agitierten seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts US-amerikanische Nazis gegen den Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor 1941 das Land in den Zweiten Weltkrieg führte. Danach war das globale Engagement der USA für über sechs Jahrzehnte innenpolitisch unangefochten. Die Gewerkschaften unterstützten diesen Kurs, zu dem auch der Freihandel gehörte. US-Waren überschwemmten den Weltmarkt, das gab Jobs.
Inzwischen hat sich einiges geändert. Die Vereinigten Staaten leiden unter der Konkurrenz der EU – hier vor allem Deutschlands – und Chinas. Das kostet Arbeitsplätze. Trump hatte im Wahlkampf die Stimmen von Arbeitern aus dem so genannten Rust-Belt gewonnen. Indem er die EU und China zu Feinden erklärt und ihnen Zölle auf Stahl und Aluminium auferlegt, präsentiert er sich als einen Mann, der Wort hält. Russland ist nur ein Gegner zweiten Grades, es erzielt in den USA keine Exportüberschüsse. Allerdings könnte Nord Stream 2 den Absatz von US-amerikanischem Fracking-Gas beeinträchtigen. Das Interesse der USA an der Ukraine dürfte ebenfalls durch solche Rücksichten bestimmt sein: Einerseits bedeutet die Leitung durch dieses Land Konkurrenz für die Vereinigten Staaten, andererseits wäre es noch schlimmer, sie geriete auf Dauer in den Einflussbereich Putins. Wettrüsten – auch gegen Russland – entspricht den Interessen der US-Rüstungsindustrie. Die demonstrative Unterstützung für Netanjahu sichert die Partnerschaft mit dem verlässlichsten und militärisch stärksten Verbündeten im Nahen Osten.
Richtig: Diese fortbestehenden internationalen Engagements passen schlecht zum Isolationismus.
Es ist nicht der einzige Widerspruch. Als Trump Zölle auch auf Autos ankündigte, konnte er auf Unterstützung der US-Beschäftigten hoffen. Bei denen hatte sich Anfang der neunziger Jahre Clintons Arbeitsminister Robert B. Reich unbeliebt gemacht, als er vorschlug, die „Blue-collar-Jobs“ nach Mexiko zu verlagern. Zölle auf Autos wären in Trumps Augen eine effektvolle Rache an den internationalistischen Eliten aus der Demokratischen Partei gewesen.
Jetzt sieht es so aus, als habe Jean-Claude Juncker ihm das wieder ausgeredet. Gibt es vielleicht doch keine Zölle auf Autos, sind die Interessen der europäischen einschlägigen Konzerne (darunter der deutschen) gewahrt. Trump hat sich allerdings Gedanken darüber zu machen, wie er nicht nur die US-amerikanischen Kapitalisten beschwichtigt, sondern auch die Belegschaften. Er muss lavieren: Zu seiner Basis gehören außerdem die Farmer des Mittelwestens. Die Strafzölle aus der EU auf ihre Produkte (als Antwort auf die Belastung von Aluminium und Stahl) wären schlimm für sie und für Trumps Rückhalt bei ihnen. Wenn das vermieden werden kann, ist man im Mittleren Westen wieder zufrieden mit ihm. „Workers“ und „Farmers“ – lässt man das Kapital einmal beiseite, könnten die USA unter Trump als Arbeiter-und-Bauern-Staat gelten.
Der Präsident der Vereinigten Staaten wird als „erratisch“ bezeichnet. Das ist aber nicht nur eine persönliche Eigenschaft, sondern entspricht dem Zustand des Landes, das er regiert, und des gegenwärtigen Kapitalismus insgesamt.