ver.di-Parlament ringt um offensivere Gewerkschaftspolitik

Beraten, wohin es geht

Von Herbert Schedlbauer

Die Aufgaben von Gewerkschaften in unserer Gesellschaft sind heute geprägt von ständigen Abwehrkämpfen. Aufgrund dieser Erfahrungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, aus den Niederlagen in den Klassenkämpfen der vergangenen Jahre muss eine Gegenwehr entwickelt werden. Dazu gehört, dass die Gewerkschaften die Illusion bei Seite legen, durch Sozialpartnerschaft auf gleicher Augenhöhe mit Regierung und Wirtschaft verhandeln zu können.

Erste Ansätze, wie es anders gemacht werden kann, zeigen zahlreiche Anträge, die dem 5. Ordentlichen ver.di Bundeskongress vorliegen. Viele davon nennen konkrete Forderungen, Antworten und Ziele, wie auf die Angriffe des Kapitals reagiert werden muss. Diese positive Entwicklung, entstanden aufgrund inhaltlicher Diskussionen bei ehrenamtlich Aktiven, wurde auf Bezirks-, Fachbereichs- und Landeskonferenzen mit großer Mehrheit bestätigt. Das wäre insgesamt eine gute Arbeitsgrundlage auch für den Bundeskongress für die Richtung der nächsten Jahre. Gäbe es da nicht von Seiten des Gewerkschaftsrates und durch Einfluss von Hauptamtlichen zahlreiche weichgespülte Leitanträge zu den einzelnen Antragsblöcken.

Betroffen davon sind Anträge, die das Thema Arbeitszeitverkürzung, Sozialpolitik, Tarifpolitik, Demokratieabbau, Frieden und Abrüstung, Bildung und Jugend beinhalten.

Die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen hat für Gewerkschaften oberste Priorität. Seit ihrer Gründung ist die Verkürzung der Wochen- und Tagesarbeitszeit eines ihrer Hauptkampffelder. Da die Unternehmer ständig bemüht sind, Arbeit so billig wie möglich zu machen, bleibt die Frage, wie die Einzelgewerkschaften und der DGB einerseits aus der Defensive herauskommen und wie sie anderseits dafür mobilisieren. Mit einer „Arbeitszeitverkürzung mit vollem Personal- und Lohnausgleich“ könnte ver.di wieder in eine Offensive gegenüber den Herrschenden und deren Angriffe auf Löhne und Arbeitszeitgesetz sowie Vernichtung von Arbeitsplätzen kommen.

Ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen aus vielen Bezirken und Landesverbänden diskutieren und fordern deshalb seit 2011 eine großangelegte Kampagne, ähnlich wie beim Mindestlohn. Um so unverständlicher ist der „Leitantrag“ A001 „Gute Arbeit und Gute Dienstleistungen zukunftsgerecht gestalten – betrieblich, tariflich und politisch“ des Gewerkschaftsrates. Genau diese „bundesweite gesellschaftspolitische ver.di-Kampagne“ fehlt. Im Leitantrag sollen 204 Anträge aus dem Block A, entwickelt und zustande gekommen von den Mitgliedern, aufgehen. Dies wird, wie schon 2015, zu größeren Diskussion auf dem Kongress führen. „Es kann nicht sein, dass mit keiner Zeile die Notwendigkeit einer offensiven gesellschaftspolitischen Diskussion mit Hilfe einer Kampagne aufgegriffen wird. Zumal dies konkret mit einer Mitgliederwerbung verbunden werden könnte. Man bekommt den Eindruck, dass der von unten entstandene Wille der Ehrenamtlichen vom Tisch gefegt werden soll“, ist im Vorfeld des Kongresses von Delegierten zu hören.

Im A001 findet man auch nichts zur fachbereichsübergreifenden Solidarität in Tarifauseinandersetzungen, obwohl die Forderung nach einer Zusammenfassung und Koordinierung von Arbeitskämpfen, von gemeinsamen Mobilisierungen zu Streikdemonstrationen und Kundgebungen ebenfalls immer wieder in Fachgruppen und vor Ort diskutiert wird.

Wie richtig diese Forderung und Orientierung wäre, zeigen die Teilerfolge im Kampf um mehr Personal in den Krankenhäusern und bei der Pflege. In den Bezirken wurden punktuell gemeinsame Aktionen und Unterstützungen mit anderen Fach- und Personengruppen durchgesetzt und so Erfolge errungen. Es wäre richtig, diese positiven Beispiele aufzugreifen und zu einer Leitlinie für die nächsten Jahre zu machen. Erstmals gelang es in der Geschichte der Bundesrepublik, auf die Personalplanung in diesen Branchen einzuwirken. Für den weiteren Kampf und die Umsetzung des Tarifergebnisses wird genau dies eine breite Aufgabe der Gesamtorganisation werden müssen. Denn auch ein Jahr nach den Abschlüssen an den Universitätskliniken zeigt sich, dass die Unternehmer nicht bereit sind, entsprechende Neueinstellungen zu tätigen, wenn sich unten und oben kein Druck aufbaut.

Klarere Positionen fehlen auch in den Leitanträgen in Richtung Bundes- und Landesregierungen. Der in den vergangenen Jahren praktizierte Demokratieabbau, das Durchpeitschen von schärferen Polizeigesetzen wird wiederum nur in Anträgen der unteren Ebenen behandelt. Gleiches gilt für die Durchsetzung von politischen Streiks. Geht es nach der Antragsberatung, soll alles wieder als Material an den Bundesvorstand weitergereicht werden. Eine Beerdigung erster Klasse, die sich ver.di nicht leisten sollte.

Im Antragsblock „Friedenspolitik“ fordern mehrere Anträge die Bundesregierung nachdrücklich auf, von ihren Plänen Abstand zu nehmen, den Rüstungshaushalt auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Bedeuten würde dies eine Verdoppelung der Rüstungsausgaben und weiteren Sozialabbau. Der dazugehörende Leitantrag E 135 „Für Frieden und Abrüstung“ lässt genau dies unerwähnt.

Mehrere Anträge beschäftigen sich mit den in der Vergangenheit durchgeführten Streiks. Trotz einer Zunahme in vielen Fachbereichen bis 2017 wird das Mobilisierungspotenzial nach Meinung der Antragsteller bei weitem nicht ausgenutzt. Immer noch bleibt es oft nur bei Tarifauseinandersetzungen, die nach einigen Warnstreikwellen mit der Hälfte der Forderungen enden. Erstmals gab es in der vergangenen Legislaturperiode Tarifverträge mit einer Laufzeit von 36 Monaten. Aktuell gibt es so gut wie keine Tarifverträge mehr mit 12 Monaten Laufzeit. Die Forderung nach einer stärkeren Einbindung und Entscheidungsmöglichkeiten durch ehrenamtliche Mitglieder in den Tarifkommissionen vor deren Zustimmung ist deshalb auch Thema auf diesem Bundeskongress.

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"Beraten, wohin es geht", UZ vom 20. September 2019



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