Der ukrainische Präsident Selenski ist in ganz Europa unheimlich beliebt. Gerne wird bei dieser Gelegenheit auch mal vergessen, dass man sich ja über das Konstrukt der deutsch geführten EU ganz fürchterlich uneins ist und so kann sich Selenski hintereinander erst von Sunak (London) und dann von Macron (Paris) in sehr männlich-demonstrativer Art umarmen lassen. Damit er nicht so traurig ist, durfte Bundeskanzler Olaf Scholz in Paris auch mit als Gastgeber beim Kriegsratsabendessen auftreten.
Und dann endlich: Brüssel. Das Europaparlament. Wer schon mal da war, weiß, dass es sich dabei nicht um eines der Gebäude handelt, die in den Hochglanzbroschüren der EU vorgezeigt werden. Achtzigerjahre-Charme, nikotingelbe Wände, die auch Jahrzehnte nach dem Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden noch stinken, Sauerstoff Fehlanzeige. Nur um mal darauf hinzuweisen, in welchem Rahmen Selenskis Triumphzüge so stattfinden. Schön ist anders.
Aber dann: Standing Ovations im Plenarsaal, zur Abwechslung auch mal volles Haus. „Dies ist ein historischer Tag!“ trompetete Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, Linken-Chef Martin Schirdewan gibt verzaubert Pfötchen und verspricht Solidarität – und Selenski? Macht was er immer macht: Er verlangt Flügel, ganz schnell, ganz modern und überhaupt. Einmal alles bitte, am besten mit Bomben dran.
Und so ist dann ganz Europa völlig in Verzückung wegen der selenskischen Auftritte. Ganz Europa? Nein. Ein kleines Land mit einem nicht ganz so kleinen Schlagerfestival nicht.
Jährlich findet in Sanremo in Ligurien ein weltberühmtes Festival statt. Beim Festival della Canzone Italiana stehen seit 73 Jahren italienische Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne des Theaters Ariston. Das Ganze wird vom staatlichen Fernsehsenders RAI 1 übertragen, Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer nehmen vor den Endgeräten Platz.
Mitte Januar ließ sich Selenski von einem italienischen Blogger interviewen. Der deutete an, dass Selenski bei dem Musikfestival auftreten wird – und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus.
Die Italienerinnen und Italiener hätten die Nase voll von den ständigen Auftritten Selenskis, hieß es in mehreren italienischen Medien, auch, weil in seinen Reden nie vom Frieden die Rede sei.
Binnen weniger Tage unterzeichneten mehr als 80.000 Italienerinnen und Italiener eine Petition gegen die „Militarisierung des Sanremo-Festivals“, darin heißt es unter anderem: „Wir wollen, dass Artikel 11 unserer Verfassung respektiert wird. Dieser lehnt den Krieg als Methode zur Lösung internationaler Konflikte ab.“
Es ist ihnen gelungen, den Propagandaauftritt auf dem Festival zu verhindern. Kleinlaut gaben RAI und andere Organisatoren bekannt, so ein Auftritt „passe nicht ins Programm“.