Nachruf auf einen Internationalisten für Frieden und Solidarität

Belafontes Song

Als Harry Belafonte 2011 seine Autobiografie vorlegte, nannte er sie „My Song“. Aber was meinte „Song“? Keinen seiner musikalischen Hits. „Song“ war die Summe seines Lebens. Und er erklärt es im Abgesang: „Ich glaube, meine Zeit war bemerkenswert. Mir ist bewusst, dass wir heute in einer Welt leben, die überquillt vor Grausamkeit und Zerstörung. Unsere Erde fällt auseinander, unser Geist stumpft ab, unsere moralischen Ziele und unsere schöpferischen Visionen kommen uns abhanden. Und doch glaube ich fest daran, … dass unsere beste Zeit noch vor uns liegt … Das ist mein ‚Song‘.“ Sein von Freude, Trauer und nicht erloschener Hoffnung getragenes Lied ist verstummt. Harry Belafonte ist am 25. April in New York gestorben.

Seine Lebenszeit: Fast ein Jahrhundert. Angefüllt mit sozialen Aufbrüchen und Niederlagen, geplagt von rassistischer, kolonialer und neokolonialer Unterdrückung und deshalb prall von Emanzipationslust der Völker. Ein Jahrhundert in Krieg und Frieden, mit Phasen der Besinnung auf Abrüstung und kollektive Sicherheit, gefolgt von einem Rückfall in frostigste Konfrontation. Wer sich in den Kämpfen der Zeit links verortete, sah den Bürgerrechtler, Friedensaktivisten, den Künstler Harry Belafonte an seiner Seite. In diesem rasenden Jahrhundert konnte er ein Seismograf für Wahrheit und Gerechtigkeit sein. Durch Geradlinigkeit und Fairness, die selten ohne Mut auskamen, gewann er auch das Vertrauen vieler berühmter Kollegen. Schwarze wie weiße Künstler folgten ihm, wenn er zu politischen, sozialen oder karitativen Aktionen aufrief.

Eine Begegnung mit Paul Robeson

Mit Geburtsnamen Harold George Bellanfanti Jr. am 1. März 1927 in New York City als Sohn eines Matrosen aus Martinique und einer Hilfsarbeiterin aus Jamaika geboren, wuchs Harry in ärmlichen Verhältnissen auf. Erst im afrikanischen Ghetto von Harlem, später im jamaikanischen Dorf der Großeltern, wo er einige Kindheitsjahre verbrachte, um 1940 nach New York zurückzukehren – Not und Entbehrungen blieben ständige Begleiter. Schwer genug für seine Mutter, Melvine Love, die er liebevoll Millie nannte, die Familie bei häufiger, später endgültiger Abwesenheit des Vaters durchzubringen. Scherereien mit der Einwanderungsbehörde erzwangen zudem einen häufigen Wohnungswechsel und gelegentlich sogar die Änderung des Namens, weshalb aus Bellanfanti irgendwann Belafonte geworden war. Während des Zweiten Weltkrieges diente Harry bei der Navy. Nach Kriegsende kam er in Kontakt mit dem American Negro Theatre, wo er seinen langjährigen Freund Sidney Poitier kennenlernte. Nach einer Vorstellung war er Paul Robeson begegnet, der mit seiner tiefen Bassstimme als Schauspieler sowie als Interpret von Folksongs und Spirituals brillierte. Robeson war von streikenden walisischen Bergarbeitern politisiert worden. Er fühlte sich der kommunistischen Idee verbunden und hatte nach dem Franco-Putsch im bombardierten Madrid für Interbrigadisten gesungen. In ihm hatte Belafonte ein künstlerisches und politisches Vorbild gefunden.

Sein Wunsch, Schauspieler zu werden, führte ihn alsbald zum berühmten Theater-Workshop, den Erwin Piscator an der New York School für Social Research leitete. Er wurde angenommen und hatte Mitschüler, die später gleichfalls weltbekannt wurden: Walter Matthau, Rod Steiger, Marlon Brando, Tony Curtis. Piscator, der große deutsche Theatermann, geprägt von linker, antifaschistischer Gesinnung, prägte nun ihn. Die Lieder Paul Robesons führten Belafonte weiter zu Pete Seeger, Woody Guthrie und Josh White, und er traf auf Henry Fonda, der ihn in der Bürgerrechtsbewegung unterstützte. Mit Abscheu erlebte er die existenzgefährdenden Verfolgungen aufrechter Demokraten, darunter vieler Künstlerfreunde, durch den Antidemokraten McCarthy.

Kings Traum vollenden

Verbrechen des Ku-Klux-Klan waren in den Südstaaten an der Tagesordnung. Bei einem Gastspiel in Virginia hatte Belafonte an einer Toilette die Aufschrift „Nur für Weiße“ übersehen und hörte hinter sich eine schneidende Polizistenstimme: „Einen Tropfen und du bist tot, Nigger!“ Als er mit Sidney Poitier im Süden Spendengelder für freiwillige Helfer der Wahlregistrierung schwarzer Bürger überbrachte, lauerten ihnen Ku-Klux-Klan-Pick-ups auf. Seit 1956 hatte sich eine tiefe Freundschaft mit Martin Luther King entwickelt, die Belafonte nach dessen Ermordung als Erbe weitertrug. Im August 1963 hatten die beiden Freunde auf dem großen Marsch für Bürgerrechte in Washington D. C. unter prominenter Beteiligung einen ihrer bedeutendsten gemeinsamen Auftritte.

Belafontes Autorität gründete maßgeblich auf der Qualität seiner künstlerischen Arbeit. Man sollte „My Song“ lesen, wenn man das harte Ringen um inhaltliche Wahrhaftigkeit und doch kommerziellen Erfolg erfassen will. Hits wie „Banana Boat Song“, „Island in the Sun“ oder „Matilda“ erklären sich dann im Kontext ihrer Entstehungsgeschichte, man begreift die Hintergründe um Calypso‘s Hype und Revival und lernt, dass bei 150 Millionen verkauften Tonträgern kein kleiner Batzen vom Erlös für humanitäre Zwecke verwandt wurde.

Internationalist für Frieden und Solidarität

So sehr Belafonte seine Stimme gegen die Miseren in den USA erhob, er verstand sich immer auch als linker Internationalist. Er verurteilte den Vietnamkrieg und den völkerrechtswidrigen Einmarsch im Irak. Er nannte George W. Bush einen Terroristen und ging hart mit dessen Adlaten Condoleezza Rice und Colin Powell ins Gericht, deren Bruder er nicht sein wollte. Er war Verteidiger von Mikis Theodorakis gegen das griechische Obristenregime. Als Apartheidgegner stritt er für die Freiheit Nelson Mandelas. 1988 eröffnete er das große Konzert im Londoner Wembley-Stadion zu Madibas 70. Geburtstag, und der Ruf „Free Nelson Mandela“ erreichte 600 Millionen Zuschauer in aller Welt. Er unterstützte auch die Friedensbewegung in der BRD. Trat im Bonner Hofgarten vor Hunderttausenden Teilnehmern auf. Stand 1981 zum Abschluss des 2. Forums der Krefelder Initiative in Dortmund auf der Bühne und im Folgejahr gemeinsam mit Miriam Makeba, die er einst in den USA gefördert hatte, bei „Künstler für den Frieden“. 1983 hatten bereits vier Millionen Bundesbürger den Krefelder Appell gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa unterzeichnet. Als in Äthiopien Hunger grassierte, hatte Belafonte mit Lionel Richie, Michael Jackson, Quincy Jones, Stevie Wonder und vielen anderen prominenten Stars eine Benefizidee mit dem Megahit „We Are the World“ zum Welterfolg geführt. Entgegen der Boykottpolitik der US-Regierung besuchte Belafonte mehrfach Kuba, traf sich mit Fidel Castro und widersprach Washingtons angemaßtem Anspruch auf Vormundschaft in „seinem lateinamerikanischen Hinterhof“.

Belafonte in der DDR

1816 Bundesarchiv Bild 183 1983 1025 025 Berlin Besuch von Harry Belafontei - Belafontes Song - Bürgerrechtler, DDR, Harry Belafonte, Künstler für den Frieden, Martin Luther King - Die letzte Seite
Im Oktober 1983 konnte Egon Krenz (rechts), damals 1. Sekretär der FDJ, Harry Belafonte in der DDR begrüßen. (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1983-1025-025 / Settnik, Bernd / CC-BY-SA 3.0)

Am 25. Oktober 1983 trat Harry Belafonte in der DDR auf. Vormittags war er mit seiner Frau Julie und den Musikern in Berlin-Schönefeld gelandet und vor dem Friedenskonzert im Palast der Republik, zu dem auch Udo Lindenberg eingeladen war, gab es eine Internationale Pressekonferenz. Ich hatte sie zu leiten und der Zufall wollte es, dass ich einem Journalisten das Wort gab, der Belafonte um ein Statement zu einem Vorfall bat, den wir noch gar nicht kannten. Die USA hatten soeben die kleine Karibikinsel Grenada überfallen, deren regierendes New Jewel Movement sich sozialistischen Ideen genähert hatte. Belafontes Gesicht versteinerte. Dann verurteilte er den Überfall scharf. In der Abendveranstaltung sang er aus Solidarität sein „Island in the Sun“, wobei wohl die wenigsten wussten, dass Grenada einst der Drehort des gleichnamigen Film gewesen war. Nicht allein aus diesem aktuellen Grund beherrschte Belafonte das Friedenskonzert. Es stand viel mehr im Raum. Er tanzte durch die Reihen, sang seine großartigen Hits, und unwillkürlich heftete sich an all das seine ganze unruhige Vita. Als ich mich am Morgen im Gästehaus von Harry Belafonte verabschiedete, erzählte ich ihm von der Sorge um unsere „FDJ-Brigade der Freundschaft“, die wir zur Aufbauhilfe nach Grenada entsandt hatten und deren Schicksal noch ungewiss war. Er teilte die Sorge, als wäre sie seine.

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"Belafontes Song", UZ vom 5. Mai 2023



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