Vertreter Russlands und Belarus sollen nicht zu Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus eingeladen werden, wünscht sich das Auswärtige Amt. In einer „Empfehlung“ des Ministeriums, das noch Annalena Baerbock (Grüne) unterstellt ist, ist gar die Rede davon, ungebetene Gäste an der Teilnahme zu hindern. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten erklärte daraufhin, von ihrem Hausrecht Gebrauch machen zu wollen und Sergej Netschajew, den Botschafter der Russischen Föderation in der BRD, „mit Sicherheitskräften“ vom Gelände entfernen zu wollen, sollte er an einer Gedenkfeier im KZ Sachsenhausen teilnehmen. Russische und belorussische Diplomaten hatte die Stiftung postalisch ausgeladen. Netschajew nahm kürzlich an einer Gedenkveranstaltung auf den Seelower Höhen teil, bei der er herzlich empfangen wurde. Autor und Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel wendet sich mit einem Offenen Brief an den Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte, Axel Drecoll. Wir dokumentieren den Brief in voller Länge:
Sehr geehrter Prof. Dr. Axel Drecoll,
mit Entsetzen entnahm ich der Presse, dass Sie die russischen Vertreter für die Feierlichkeiten zur Befreiung des KZ Sachsenhausen ausgeladen haben bzw. ihnen den Zutritt zum Festakt verweigern. Die allgemeine Ideologie einer „wertebasierten Außenpolitik“ treibt wahrhaft kriegstüchtige Blüten. Mein Freund und langjähriger Wegbegleiter, der Komponist Eberhard Schmidt, war Insasse in Ihrem Lager. Seine Erfahrungen haben mich tief geprägt. Der Regisseur Konrad Wolf, damals Soldat der Sowjetarmee, war an der Befreiung des Konzentrationslagers beteiligt und hat diesem Moment in seinem Film „Ich war Neunzehn“ ein eindrückliches Denkmal gesetzt. Schauen Sie sich diesen Film doch einmal an! Er wird von einer großen Menschlichkeit getragen und beschreibt genau in diesen Augenblicken, da das ganze Grauen der Nazizeit sichtbar wird, dass nicht Rache oder Rechthaberei die dunklen Stellen der Zeit zu entmachten vermögen, sondern Größe und Menschlichkeit. Die Schrecken, die Unmenschlichkeit, ja der Zynismus der deutschen Faschisten waren beispiellos und sind durch nichts anderes beendet worden als durch den Einsatz der sowjetischen Soldaten und Offiziere.
Wollen Sie diese Geschichte umschreiben und uns selbst zu den Befreiern umdeuten? Wollen Sie Grundlagen des Humanismus politischen Winkelzügen und Selbstermächtigungen opfern? An was wollen Sie erinnern, wenn Sie diesen Ort des Schreckens seiner Geschichte berauben? Auch wenn Sie mit dem Verlauf der deutschen Geschichte nicht einverstanden sind, ändert das nichts an den Tatsachen. Sie wurden als Direktor für die Erinnerungskultur berufen. Folgen Sie dieser Berufung!
Hans-Eckardt Wenzel