Dass ultrarechte Bewegungen einen Teil ihres Erfolges einer besonders demagogischen Variante von „Klassenpolitik“ verdanken, ist aus der Geschichte des europäischen Faschismus bekannt. So gewannen sowohl der deutsche als auch der italienische Faschismus durch „antikapitalistisch“ anmutende Forderungen einen nicht unerheblichen Anklang unter der werktätigen Wählerschaft. Der deutsche „Führer“ genießt bis heute den kaum totzukriegenden Ruf als eines „Genies“, das durch den Autobahnbau die Arbeitslosigkeit beendet hätte. Und dem Faschistenführer Benito Mussolini gelang es, sich einen bis heute in Italien anhaltenden Ruf als Sachwalter der Interessen der „kleinen Leute“ zu verschaffen.
Der ausgewiesene Italienkenner Gerhard Feldbauer schreibt dazu in seinem Buch „Die Resistenza – Italien im II. Weltkrieg“: „Die Faschisten führten eigene Fabrikbesetzungen durch, übernahmen die Losung der Bildung von Fabrikräten, kritisierten die reformistischen ISP- (Italienische Sozialistische Partei) Führer wegen ‚Zurückweichens vor der Revolution‘, verlangten die teilweise ‚Enteignung allen Reichtums‘, die ‚Nationalisierung aller Rüstungsbetriebe‘, die ‚Beschlagnahme von 85% der Kriegsprofite‘. Mit dem Verlangen nach Arbeitsplätzen gelang es ihnen, Zehntausende Arbeitslose um sich zu scharen. In seinem Parteiblatt ‚Popolo d’ Italia‘ propagierte Mussolini: ‚Tod den Ausbeutern‘ oder ‚Schluss machen mit den Spekulanten‘ und verlangte: ‚Entweder werden die Besitzenden enteignet oder wir setzen die Kriegsteilnehmer ein, dieses Hindernis niederzureißen.‘“
Mussolini forderte sogar, die „Feinde des Volkes“ aufzuhängen und die „Nutznießer des Krieges, die das Volk aushungern“ hinzurichten. Geht’s noch revolutionärer?
Zur gleichen Zeit, in der der italienische Faschismus so demonstrativ seine Fürsorge für „il populo“ bekundete, übten Schlägertrupps der Schwarzhemden brutalsten Terror gegen antifaschistische Arbeiter und Bauern aus. Allein im Jahre 1921 wurden 726 proletarische Einrichtungen zerstört: darunter 17 Zeitungsredaktionen und Druckereien, 59 Volksheime, 119 Gewerkschaftszentralen, 107 Genossenschaften, 83 Bauernligen, 8 gegenseitige Versicherungen, 141 Sektionen und Lokale der Sozialisten und Kommunisten, 100 Kulturheime, 28 Arbeitergewerkschaften, 53 Arbeiter- und Erholungsheime.
Warum ich das so ausführlich schildere und zitiere? Seit kurzem wendet sich die AfD nicht nur mit allgemeinen sozialpatriotischen und nationalen Appellen an die „deutschen Arbeiter“. In Vorbereitung auf die anstehenden Betriebsratswahlen gelingt es ultrarechten und faschistischen „Arbeitnehmervertretern“ bereits in industriellen Großbetrieben wie bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim und an weiteren vier Konzernstandorten, eigene antigewerkschaftliche Listen mit dem Namen „Zentrum Automobil“ aufzustellen. Angeblich haben sie dafür bereits „über 300 Kollegen“ als Kandidaten rekrutiert. Zusätzlich hätten sie weitere 200 Kandidaten in verschiedenen Branchen und Betrieben in der ganzen BRD für ihre Listen gewonnen. Ähnliches geschieht bei BMW in Leipzig, dort firmieren solche rechten „Arbeitervertreter“ als „Interessengemeinschaft Beruf und Familie“, und auch bei Opel in Rüsselsheim oder bei Audi sind solche Listen aktiv geworden.
Dabei treten diese „Kollegen“ nicht immer mit offen reaktionären Parolen auf. Gewiss haben wir nicht die geschilderten italienischen Zustände. Aber das Potenzial und der Boden, auf dem solche Sumpfblüten gedeihen, ist längst vorhanden und nicht zuletzt von denen mit geschaffen worden, die sich jetzt angeblich für eine Erneuerung ihres sozialdemokratischen „Markenkerns“ einsetzen wollen.