14 000 Arbeitsplätze von Duisburger Stahlkochern bedroht

Bei Thyssen-Krupp-Stahl brodelt es

Von Willi Hendricks

Für den 5. April ist in Essen eine Betriebsräte-Vollversammlung von Thyssen-Krupp angekündigt. Betriebsratsvorsitzender Segerath bezeichnet es als „immer deutlicher, dass sich Beschäftigte aller Geschäftsbereiche angesichts der Gerüchte um die Stahlsparte Sorgen um Thyssen-Krupp als Ganzes mache“.

Den Arbeitern und Angestellten kann die ansteigende Produktion von Rüstungsgütern ebenso wenig gleichgültig sein wie die Aufgabe von Stahlstandorten. An beiden Projekten verdient sich der Konzern eine goldene Nase, eine hohe Anzahl von Arbeitsplätzen geht vor die Hunde. Das alles gehört dringend mit auf die Tagesordnung. Vorzeitige Kompromisse gegenüber Unternehmerpositionen waren in der Vergangenheit kaum erfolgreich.

So war das entschlossene Auftreten von nahezu 16 000 Stahlarbeitern aus NRW im April 2016 in Duisburg eine offene Kampfansage an den Thyssen-Krupp-Konzern. Unüberhörbar war ihre Bereitschaft, um jeden Arbeitsplatz und um jeden Standort zu kämpfen. Weitere Aktionen dieser Größenordnung werden ebenso für 2017 erwartet.

Insbesondere sind die Belegschaften besorgt über eine vom Konzernchef Heinrich Hiesinger als dringlich angekündigte Stahlfusion mit dem indischen Konkurrenten Tata. Dem Stahlriesen Tata gehören Werke im britischen Port Talbot und in Ijmuiden in Holland.

Nicht nur bei den Stahlkochern des Duisburger Werkes herrscht große Unsicherheit. Zu der Thyssen-Krupp-Stahlsparte zählen insgesamt 27 000 Arbeitsplätze, rund 20 000 befinden sich in NRW. Allein in Duisburg werden 14 000 Arbeitsplätze durch eine Fusion mit der indischen Tata Steel aufs äußerste bedroht. Im Gespräch mit einer Tageszeitung im Ruhrgebiet Anfang Februar findet Konzern-Betriebsratsvorsitzender Willi Sege­rath deutliche Worte: „Wir lassen uns nicht so einfach unsere Arbeitsplätze unter dem Arsch wegziehen. Pläne für Standortschließungen würden unsere massive Gegenwehr auslösen. Dann werden wir auf die Straße gehen.“ Er stellte in Aussicht, dass es ein konflikt­reiches Jahr bei Thyssen-Krupp werden könnte.

Bereits im Januar forderte der Erste Bevollmächtigte der Duisburger IG Metall Dieter Lieske vom TKS-Vorstand „ein klares Bekenntnis“ zu den Fragen nach der Stahl-Zukunft. Das monatelange Hinhalten zerre gewaltig an den Nerven der Stahlarbeiter. „Die Kollegen sind hoch angespannt“. Lieske bezeichnete es als völlig klar, dass es „erbitterten Widerstand“ geben würde, wenn es um die Schließung von Standorten gehe. „Die werden von uns hören“, auch die Entscheidungsträger in Brüssel, wenn es um europäische Rahmenbedingungen geht.

Gewinne explosionsartig gestiegen

Thyssen-Krupp-Konzern teilt deren Sorgen nicht; er startet gut ins neue Geschäftsjahr. So berichtete kürzlich Konzernchef Heinrich Hiesinger, dass der, wie es heißt, „um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern im ersten Quartal 2016/17 um 40 Prozent auf 329 Millionen Euro geklettert sei“. Unterm Strich, so Hiesinger, erwirtschafte Thyssen-Krupp im ersten Quartal einen Überschuss von 15 Millionen Euro. Im Vorjahreszeitraum verzeichnete der Konzern noch einen Fehlbetrag von 54 Millionen Euro. Hiesinger hält demzufolge seine Strategie für richtig. „Wir bauen den Anteil der Industriegüter- und Dienstleistungsgeschäfte aus. Das ermöglicht uns, in Zukunft stabilere Ergebnisse zu erwirtschaften und profitabel zu wachsen.“

Für die Erzielung höchstmöglicher Profite werden Tausende Arbeitsplätze geopfert. Offensichtlich sieht Thyssen-Krupp in den Beratungen mit Tata „Fortschritte“. Ungeachtet dessen vermeldet Thyssen-Krupp-Finanzchef Guido Kerkhoff, es sei aber weiter unklar, „ob, wann und mit wem“ der Konzern eine Gemeinschaftsfirma formen könne. Täuschungsmanöver oder wird weiter gepokert? Augenfällig bei alldem liegt die Betonung auf Thyssen-Krupp-Stahl als Dukatenschaffer. Bewusst wird die Tatsache unterschlagen, dass die explodierenden Gewinne von den Stahlmalochern der Thyssen-Krupp „erwirtschaftet“ wurden. Zum Dank wird ihnen und ihren Familien eine ungewisse Zukunft beschert.

Rüstungsproduktion auf Hochtouren

Eine lukrative Profitquelle des Konzerns sprudelt kräftig. Einer Nachricht Mitte Januar zufolge baut Thyssen-Krupp seine Rüstungsgeschäfte weiter aus und übernimmt komplett das Bremer Rüstungsunternehmen Atlas Elektronik. Kaufpreis bleibt ungenannt. Atlas war vor allem auf Elektronik und Torpedos spezialisiert.

Wochen darauf verkündete Kriegsministerin Ursula von der Leyen einen Milliardenschweren Auftrag für den Rüstungsproduzenten: „Deutschland und Norwegen beschaffen gemeinsam sechs identische U-Boote, davon zwei für die deutsche Marine und vier für die norwegische.“ Die Niederlage im Wettstreit mit dem staatlichen französischen Hersteller DCNS im vergangenen Jahr um einen Großauftrag für 12 Unterseeboote an Australien in Höhe von 35 Milliarden Euro scheint ausgebügelt. Die Kieler U-Bootbauer von Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) triumphieren. Dank der auf erhöhte Waffenexporte und vermehrte Auslandseinsätze der Bundeswehr gerichteten Politik der Bundesregierung kann Thyssen-Krupp beruhigt in die nächste Runde gehen. Durchweg gilt der Konzern als Weltmarktführer beim Bau von Unterseebooten. Nichts geht vor deutscher Wertarbeit.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Bei Thyssen-Krupp-Stahl brodelt es", UZ vom 17. Februar 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit