Xi Jinpings Europatrip offenbart die Konfliktlinien im tief gespaltenen Europa

Bei Freunden und Gegnern

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die sich beim Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Paris aufgedrängt hatte, mühte sich nach Kräften, einen fruchtbaren Dialog erst gar nicht entstehen zu lassen. Wenig originell wiederholte sie die Vorhaltungen, mit denen US-Finanzministerin Janet Yellen vor einigen Tagen in Peking so spektakulär gescheitert war. Dass nämlich die Volksrepublik die EU, respektive die USA, mit ihren Überkapazitäten gewissermaßen „ausproduziert“ und damit den industriell-ökonomischen Niedergang der EU und der USA verursacht hätte. Ein bemerkenswertes „Argument“, welches auch Eingang in das reichhaltige Arsenal der deutschen Außenministerin gefunden hat. Wie üblich drohten die drei Damen sogleich mit scharfen Sanktionen und Kriegsschiffen im Südchinesischen Meer. Erklärtermaßen sieht die US- und damit auch die NATO- und die EU-Führung in der Volksrepublik die entscheidende strategische Herausforderung, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eingedämmt werden muss. Der Wirtschaftskrieg gegen China nimmt Fahrt auf.

In der (vagen) Hoffnung, die Ambitionen des französischen Präsidenten, an Statur als europäischer Staatsmann zu gewinnen, in produktive Bahnen lenken zu können, ließ Xi von der Leyens Provokationen an sich abgleiten und konzentrierte sich auf Gemeinsamkeiten mit Emmanuel Macron: Die Ablehnung der NATO-Pazifik-Expansion, des illegalen Siedlungsbaus im Westjordanland, die Zustimmung zur Zweistaatenlösung oder zu einer politischen Lösung des (nicht vorhandenen) iranischen Atombombenprogramms. Xi bedeutete Macron, wenn er ernst genommen und nicht wie von der Leyen als irrelevanter Lakai Washingtons enden will, solle er als Staatsmann handeln, der die Interessen seines Landes im Blick hat. Macrons Bellizismus im Ukraine-Konflikt betrachtet Xi im Hinblick auf die russischen Fähigkeiten ganz offensichtlich nicht als seine Baustelle.

Im Gegensatz zu Paris verliefen Xis Besuche in Belgrad und Budapest deutlich entspannter und fruchtbarer. Der chinesische Präsident wurde hier geradezu enthusiastisch gefeiert. Zehntausende riefen bei Xis Ankunft vor Serbiens Staatspalast begeistert: „Serbia-China“. Xi hob in einem Namensartikel die „eisenfeste Freundschaft“ zwischen den Ländern hervor und verwies auf den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus und um staatliche Einheit und Souveränität. Der Europatrip des chinesischen Staatschefs war so gelegt, dass er zum 25. Jahrestag der Bombardierung der chinesischen Botschaft in der serbischen Hauptstadt weilte. Die CIA hatte 1999 extra einen Stealth-Bomber startklar gemacht, der an den NATO-Strukturen vorbei direkt vom Luftwaffenstützpunkt Whiteman in Missouri (USA) die Bombardierung mit fünf JDAM-Präzisionsbomben, Zielgenauigkeitsradius 13 Meter, ausführte und wieder zurückflog. Die CIA-Operation war die einzige ihrer Art im Krieg gegen Jugoslawien. Auch der Zeitpunkt hatte eine klare Botschaft. Es war die Nacht zum 8. Mai. 54 Jahre zuvor hatte der deutsche Faschismus kapituliert. Die Bombardierung 1999 erklärte die Nachkriegsordnung für beendet. Der unipolare Weltmachtanspruch des US-Imperiums hatte begonnen. Serbien und China wurden seine gemeinsamen Opfer. Es ist bemerkenswert, dass 25 Jahre später das Ende dieses Unipolarismus wiederum mit der Bombardierung einer Botschaft unterstrichen wird. Diesmal ausgeführt vom engsten Verbündeten der USA, dem massenmörderischen Regime in Jerusalem, gegen die islamische Republik Iran.

Obwohl Ungarn und abgestuft auch Serbien Teile des EU/NATO-Werte-Westens sind, trägt die, nennen wir es „Open-East-Politik“, von Aleksandar Vucic und Viktor Orbán Früchte. Mit Chinas Hilfe konnte beispielsweise Serbien sein Autobahnnetz um mehrere hundert Kilometer erweitern. Die 111 Jahre alte Smederevo-Stahlhütte, seit 2016 im Besitz des chinesischen Stahlkonzerns HBIS-Group, erwachte zu altem Glanz, nachdem sie zuvor vom US-Konzern US-Steel ausgelutscht und wieder verschleudert wurde. Der „Stolz Serbiens“ fährt wieder Produktionsrekorde ein und sichert mehr als 5.000 Stahlarbeitern ihren Job. Der chinesische Autobauer BYD (Build Your Dreams) errichtet ein großes E-Pkw-Werk im ungarischen Szeged. Laut Außenminister Péter Szijjártó eine der größten Investitionen in der ungarischen Geschichte. Ebenfalls in Ungarn, in Komarom, betreibt BYD ein Werk für Elektrobusse. Chinesische Stromer gelten wegen ihrer günstigen Preise als enorm konkurrenzfähig. Im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative (BRI) bauen chinesische Eisenbahnunternehmen an einer 350 Kilometer langen und rund 3 Milliarden US-Dollar teuren Hochgeschwindigkeitsverbindung von Belgrad bis Budapest. Diese erste chinesische High-Speed-Bahn in Europa, deren Teilstück ‚Belgrad – Novi Sad‘ 2022 fertiggestellt wurde, soll später die osteuropäischen Zentren über Skopje mit dem griechischen Piräus, ebenfalls ein Knotenpunkt der BRI, verbinden. „Belgrad – Budapest“ war ab 1914 ein Teilstück des legendären Orient-Express, der, wenn es die US-hörige EU-Kommission und der fortschreitende Infrastrukturverfall nicht verhindern, dank chinesischer Hilfe wieder zu neuem Leben erwachen könnte. Auch die Verhältnisse auf dem Balkan geraten in Bewegung.

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"Bei Freunden und Gegnern", UZ vom 17. Mai 2024



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