Am Anfang standen sie manchmal Sonntags zu zweit auf der Torgauer Elbebrücke mit Transparenten: „Raus aus der Nato“, „Frieden mit Russland und China“. Manche Autofahrer heben den Daumen, manche zeigen einen Vogel. Für Elke Brucks, die mit ihrem Mann Gerd regelmäßig auf der Brücke demonstriert, ist etwas anderes wichtiger: Die meisten fahren langsamer. Sie lesen, was auf den Transparenten steht.
Elke Brucks, die bei der Bundestagswahl für die DKP kandidiert, und ihr Mann sind die einzigen DKP-Mitglieder in Torgau, einer sächsischen Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern. Inzwischen kommen zur Mahnwache auf der Brücke Genossinnen und Genossen aus anderen Orten, in denen es keine DKP-Gruppe gibt. Auch Mitglieder der Linkspartei kommen dazu. Dann sind sie zehn oder zwanzig Leute, Elke Brucks verteilt Fahnen und Plakate, anschließend gibt es Kaffee und Auswertung im Kommtreff.
Dass es in Torgau mit dem Kommtreff seit Ende 2019 ein Büro der DKP gibt, ist das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung. Der Gedanke kam auf, als eine der „Rotfuchs“-Veranstaltungen, die sie regelmäßig organisieren, im Durchgangszimmer zur Toilette stattfinden musste – die Gaststätte gab ihnen keinen anderen Raum, die Teilnehmer mussten sich während der Diskussion zur Seite drängen, damit andere Gäste aufs Klo konnten. Ein Berliner Genosse suchte anschließend nach einem bezahlbaren Ladenlokal.
Mit dem Kommtreff will die DKP auch außerhalb von Großstädten in Ostdeutschland Fuß fassen, er soll dazu dienen, Mitgliedern und Sympathisanten in der Region einen Anlaufpunkt zu geben. Mitglieder der DKP aus dem Bundesgebiet und Feunde, oft Mitglieder der Linkspartei, haben Daueraufträge über fünf oder dreißig Euro abgeschlossen, um das Büro zu finanzieren. Auch für die Einrichtung mussten Elke und Gerd Brucks Spenden organisieren: Möbel von einer ver.di-Gliederung, Stühle konnten sie mit einem Mietwagen von der DKP Nürnberg abholen, einen Kühlschrank von einem DKP-Mitglied aus der Region.
Im Kommtreff, in der Schlossstraße 14 bis 16, machen sie jeden Monat eine Veranstaltung, nur unterbrochen wegen der Pandemie, jeden Donnerstag ist das Büro geöffnet. Dann kommen Bekannte und Sympathisanten, auch aus umliegenden Orten, sie trinken Kaffee, essen Kuchen, tauschen sich aus, planen – zuletzt, wer wann Wahlplakate aufhängen kann. Nebenan ist das Büro der Linkspartei, „manche kommen zu uns und sagen: Bei euch ist mehr los, ihr macht wenigstens was“.
Am 25. April 1945 begegneten sich in Torgau, auf den Resten der von Wehrmachtseinheiten gesprengten Elbebrücke, Soldaten der Roten Armee und der US-Armee – das von den Faschisten kontrollierte Gebiet war geteilt, der Sieg stand bevor. Seit Langem findet zum Jahrestag des „Elbe Day“ ein Fest in Torgau statt. Elke und Gerd Brucks und ihre Genossen aus Sachsen beschlossen, neben dem unpolitischen Fest eine antimilitaristische Demonstration zu organisieren. Inzwischen unterstützen 25 Organisationen die jährliche Aktion. Am Ende stellen die Teilnehmer Blumenschalen am Sowjetischen Ehrenmal auf. „29 Blumenschalen stehen mittlerweile dort, von Organisationen aus dem ganzen Bundesgebiet“, berichtet Elke Brucks. Sie sieht die Blumen, die sie pflegt, und die Demonstration, die sie mitorganisiert, als ein Zeichen gegen die Kriegspolitik der NATO – „ein Zeichen, dass wir hier nicht schlafen, sondern wach sind“.
Elke Brucks arbeitet als Verkäuferin an der Fleischtheke bei Edeka. Die Arbeit mag sie – obwohl sie ihren ursprünglichen Beruf als Zerspanungsfacharbeiterin eigentlich nur vorübergehend verlassen wollte. Zur Verkäuferin hat sie umgeschult, weil sie als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern einen Arbeitsplatz brauchte, den sie gut erreichen konnte und wo sie nicht in Schichten arbeiten musste. Dann kam mit dem Ende der DDR auch das Ende des VEB, in dem sie zuvor gelernt und gearbeitet hatte – Pentacon in Dresden, der die Praktica-Fotoapparate hergestellt hat. „An der Praktica habe ich mitgebaut, in der Vorfertigung – unsere Fotoapparate zu DDR-Zeiten waren sehr gut“, erzählt sie. „Zu DDR-Zeiten wäre ich in meinen alten Beruf zurückgegangen, ich hätte meinen Meister machen können, Chancen hatte ich. Aber die Betriebe wurden alle zerschlagen.“
Die „Wende“ hat sie damals nicht als Konterrevolution gesehen, Kommunistin wurde sie erst später. Als Lehrling sei sie bekniet worden, SED-Mitglied zu werden, das würde ihr auch Vorteile bringen – „Da habe ich gesagt: Ich brauche die Partei nicht, um meinen Meister zu machen, den kann ich auch so machen.“
Heute sagt sie: „Wir DDR-Bürger waren alle ein bisschen blind, wir haben uns nur gefreut, auch mal in Italien Urlaub machen zu können.“ Dass Betriebe geschlossen würden, dass sie arbeitslos sein würde, dass Deutschland Krieg führen würde – damit rechnete sie 1990 nicht. Heute sagt sie, den Kindern und Enkelkindern ihrer Generation gehe es nicht besser, sondern schlechter, und spricht von einer „Ellbogengesellschaft“: „Das Miteinander fehlt heute, zu DDR-Zeiten war das anders.“
Später lernte sie Gerd kennen, der seit 2014 DKP-Mitglied ist, mit ihm fuhr sie nach Berlin zum Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Wochenende und zu Veranstaltungen der DKP Berlin. Sie habe gar nicht gewusst, dass sie auch so „tickt“ wie diejenigen, die sie da kennengelernte – sie stellte fest: „Hier bin ich zu Hause, hier fühle ich mich wohl – unter Gleichgesinnten.“ 2018 wurde sie Mitglied der DKP.
Ihren Kolleginnen hat sie das nicht erzählt. Aber als der Bundeswahlausschuss der DKP verbieten wollte, zur Wahl anzutreten, schrieben sie und ihr Mann einen Leserbrief an die Lokalzeitung. Die „Torgauer Zeitung“ brachte ein Interview mit den beiden, die berichten konnten, dass sie in der Region 380 Unterstützungsunterschriften gesammelt hatten. Seit das Interview mit Foto gedruckt wurde, wundert sie sich bei der Arbeit manchmal: „Manchmal grüßt mich jetzt jemand, wo ich gar nicht weiß, wer das ist.“