Wir dokumentieren an dieser Stelle den Bericht von „German Foreign Policy“.
Nichtregierungsorganisationen warnen vor der Ausschaltung von Kritik an der Berliner Politik mit Hilfe finanziellen Drucks auf regierungskritische Organisationen. Der vom Bundesfinanzhof exemplarisch gegen die Organisation Attac verhängte Entzug der Gemeinnützigkeit, den Teile der Regierungsparteien auch für andere Vereinigungen fordern, könne zu einer ernsten „Einschränkung“ des Meinungsspektrums führen, warnt etwa die deutsche Sektion von Transparency International. Zugleich beginnt die Bundesregierung, Proteste – Schülerproteste für besseren Klimaschutz – dem Verdacht einer Steuerung durch fremde Mächte auszusetzen. Frankreichs Präsident fordert eine EU-„Agentur für den Schutz der Demokratie“, um angebliche auswärtige „Manipulationen“ zu unterbinden. Der Druck auf Regierungskritiker wird in einer Zeit intensiviert, in der Berlin und die EU ihren Kampf um eine führende Stellung in der Weltpolitik massiv verstärken. Dass in solchen Phasen Kritik im Innern nach Möglichkeit unterdrückt wird, ist historisch nicht neu.
„Schutz vor fremden Mächten“
Mit der Forderung nach der Gründung einer „europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie“ ist am Dienstag Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hervorgetreten. Wie Macron in einem Namensbeitrag konstatiert, der in sämtlichen 28 EU-Mitgliedstaaten veröffentlicht wurde, ist die EU gegenwärtig mit Kräften konfrontiert, die jegliche weitere Integration zurückweisen und zum Teil – wie in Großbritannien – den Austritt aus der Union anstreben. Der französische Präsident führt dies maßgeblich darauf zurück, dass gewisse Kräfte „mittels falscher Behauptungen die Wut der Menschen ausnutzen“. Er verortet die Störer, wie aus dem weiteren Verlauf seines Beitrags hervorgeht, maßgeblich außerhalb der EU; Russland wird nicht ausdrücklich genannt. Um „ganz Europa“ zu schützen, müsse Brüssel nicht nur „die Finanzierung europäischer politischer Parteien durch fremde Mächte verbieten“. Man müsse darüber hinaus verhindern, dass nun „bei jeder Wahl fremde Mächte unser Wahlverhalten zu beeinflussen suchen“. Macron schlägt deshalb „die Gründung einer europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie“ vor, die „in jeden Mitgliedstaat europäische Experten entsenden“ solle, um dort die „Wahlen vor Hackerangriffen und Manipulationen zu schützen“.
„Von außen gesteuert“
Wie der Vorwurf, von fremden „Manipulationen“ gesteuert zu sein, gegen unliebsame Regungen in der Gesellschaft genutzt werden kann, hat kürzlich Bundeskanzlerin Angela Merkel demonstriert. Merkel stellte am 16. Februar in einer Stellungnahme auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Demonstrationen von Schülern für einen besseren Klimaschutz in einen Zusammenhang mit „hybride[r] Kriegsführung seitens Russlands“. „Diese hybride Kriegsführung im Internet“ sei „sehr schwer zu erkennen“, erklärte Merkel: „Plötzlich“ gebe es „Bewegungen …, von denen Sie gedacht haben, dass sie nicht auftreten“. Zwar sei etwa die Forderung nach einem besseren Klimaschutz „ein wirklich wichtiges Anliegen“: „Aber dass plötzlich alle deutschen Kinder nach Jahren ohne jeden … äußeren Einfluss auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss, das kann man sich auch nicht vorstellen.“
Finanziell austrocknen
Die – keineswegs neuen, jetzt aber von Staats- und Regierungschefs prominent platzierten – Bemühungen, unerwünschte Proteste als vom gegnerischen Ausland gesteuert darzustellen, gehen mit zunehmendem Druck auf Nichtregierungsorganisationen in Deutschland einher. Mittel ist der Entzug der Gemeinnützigkeit, der missliebigen Organisationen die finanzielle Grundlage nehmen oder sie wenigstens erheblich schwächen soll. Mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit ist verbunden, dass Spenden an die betreffende Vereinigung nicht steuerlich abgesetzt werden können; in der Regel läuft dies auf einen spürbaren Verlust an Spenden hinaus. Darüber hinaus können nur gemeinnützige Organisationen Gelder von der Justiz bekommen: Ausschließlich an sie schütten Gerichte Bußgelder aus. Ein Entzug der Gemeinnützigkeit kann damit politisch unerwünschte Tätigkeiten austrocknen oder sie bei vorauseilenden Gehorsam potenziell Betroffener ganz verhindern.
Präzedenzfälle
Aktuell sind vom Entzug der Gemeinnützigkeit vor allem zwei Organisationen betroffen: die Deutsche Umwelthilfe und Attac. Die Deutsche Umwelthilfe hat sich mit ihrem Einsatz für Fahrverbote bei der Überschreitung von Schadstoffgrenzwerten vor allem bei der Kfz-Industrie unbeliebt gemacht, die erheblichen Einfluss auf die Bundesregierung hat und als Basis für eine starke Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft unverzichtbar ist. Die CDU hat Ende 2018 beschlossen, die Gemeinnützigkeit der Organisation überprüfen zu lassen; die CSU will nun sogar die bestehenden Gesetze ändern, um der Deutschen Umwelthilfe die finanzielle Grundlage zu entziehen. Attac wiederum ist als „globalisierungskritisch“ und Gegnerin der Regierungspolitik in vielfacher Hinsicht bekannt. Wurde der Organisation bereits im Jahr 2014 die Gemeinnützigkeit aberkannt, so konnte sie im Mai 2017ein diesbezüglich für sie günstiges Urteil erstreiten, gegen das die Behörden allerdings noch im selben Monat auf ausdrückliche Weisung des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble Beschwerde einlegten. Am 26. Februar ist nun die Entscheidung des Bundesfinanzhofs veröffentlicht worden, der Attac – vollauf im Sinne der Bundesregierung – die Gemeinnützigkeit aberkennt.
Ein eingeschränktes Meinungsspektrum
Dabei hat der Bundesfinanzhof den einschlägigen Gemeinnützigkeitszweck „Volksbildung“, wie die „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ konstatiert, äußerst eng ausgelegt. Die Allianz vertritt mehr als 80 Vereine und Stiftungen, die nun gleichfalls um ihre Gemeinnützigkeit und damit um die finanzielle Grundlage ihrer Arbeit fürchten. Das Urteil des Bundesfinanzhofs könne künftig „zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Meinungsbildung in der Gesellschaft führen“, warnt die deutsche Sektion von Transparency International: Es sei „zu befürchten“, dass nun „politische Akteure“ öfter versuchten, „auf diese Weise unliebsame Kritik auszuschalten“. Schon jetzt dächten potenziell betroffene Organisationen intensiv darüber nach, ob sie sich etwa „nicht mehr gegen Rassismus engagieren“ sollten, da dies von der engen Auslegung der Gemeinnützigkeit durch den Bundesfinanzhof womöglich nicht mehr gedeckt sei. es gebe „ganz große Fragezeichen“.
Historisch nicht neu
Der Druck auf Regierungskritiker wird in einer Zeit intensiviert, in der Berlin und die EU ihren Kampf um eine führende Stellung in der Weltpolitik massiv verstärken (german-foreign-policy.com berichtete). Dies ist verbunden mit massiver Aufrüstung, mit aggressiven Handlungen gegen fremde Staaten – vor allem gegen Russland – und mit einer immer offener zutage tretenden Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht. Dass in solchen Phasen Kritik im Innern nach Möglichkeit unterdrückt wird, ist historisch nicht neu.
Quelle: German Foreign Policy