Björn Blach zu den Krawallen in Stuttgart

Beginn einer Revolte?

Eine Polizeikontrolle in der Stuttgarter Innenstadt löste Angriffe auf die Polizei, Zerstörungen und Plünderungen aus. Der grüne Oberbürgermeister Kuhn reagiert: „Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Alkohol oder der Wille, sich in sozialen Medien zu inszenieren, lassen wir nicht als Ausrede gelten.“ Der Standpunkt der herrschenden Klasse. Das arbeitende Stuttgart muss nach den Ursachen fragen.

Seit Sommer letzten Jahres verloren tausende Leiharbeiter ihre Arbeit. Stellenabbau und Werksschließungen in der Automobil- und Metallindustrie folgten. Seit Beginn der Pandemie haben etliche ihre Jobs verloren oder sind in Kurzarbeit. Jeder zehnte Stuttgarter kann in den Tafelläden kaufen. Jedes dritte Kind ist arm. Wohnungsmangel und Mietpreise belasten die Bevölkerung, im Schnitt gehen 40 Prozent des Haushaltseinkommens an den Vermieter. Jeder Umzug führt zu der Frage: Kann ich mir Stuttgart noch leisten? Eine Form kapitalistischer Gewaltnormalität.

Der rassistische Bodensatz zeigt sich in den Wahlerfolgen von CDU, Republikanern und jetzt der AfD. Der tief im kapitalistischen System verwurzelte strukturelle Rassismus ist Alltag: Herkunft und Wohnort spielen für den Zugang zu Bildung und Ausbildung eine entscheidende Rolle. Mit der falschen Hautfarbe werden Menschen öfter von der Polizei kontrolliert. Eine Form kapitalistischer Gewalt-Normalität.

Vor zehn Jahren verprügelte die Polizei Demonstranten, um das Projekt Stuttgart 21 durchzusetzen; 400 Verletzte. Hunderttausend waren danach auf der Straße und wählten in der Folge einen grünen Ministerpräsidenten sowie einen grünen OB. Statt eines Politikwechsels bekamen sie einen zweiten Veggie-Tag in der Kantine und Fahrradspuren. Eine Form kapitalistischer Gewalt-Normalität.

Zerstörung löst zu Recht Empörung aus. Von den Herrschenden wird sie genutzt, um abzulenken und die Repression zu verstärken. Die Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt haben vermutlich dazu beigetragen, dass bei Kontrollen nicht mehr nur weggeschaut wird und sich Menschen nicht mehr alles gefallen lassen.
Damit aus der orientierungslosen Wut Widerstand wird, braucht es das Bewusstsein der eigenen Lage und die Perspektive eines Staates, dessen Ziel die Beseitigung der gesellschaftlichen Ursachen für Ungerechtigkeit und Unterdrückung ist. Eines starken sozialistischen Staates.

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"Beginn einer Revolte?", UZ vom 26. Juni 2020



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