Die Frage, auf welchem Entwicklungsweg sich China befindet, ist keine scholastische. Sie betrifft unsere Orientierung im internationalen Klassenkampf, definiert aber auch fundamental unser Sozialismusverständnis. Der PV sieht die Debatte als einen Beitrag zur Arbeit an der Weiterentwicklung der Programmatik der DKP. Dies ist bemerkenswert, kann doch der Beschluss des 23. Parteitags zur Organisierung der Programmdebatte nicht ansatzweise als umgesetzt betrachtet werden und hat die China-Debatte bisher eher außerhalb der Partei als in ihren Gliederungen stattgefunden.
Der Antrag behauptet, die Reform- und Öffnungspolitik sei Grundlage für den „rasanten ökonomischen Aufstieg Chinas“, die „stürmische Entwicklung der Produktivkräfte“ und die Befreiung „hunderter Millionen Menschen aus der Armut“ gewesen. Kleingeredet werden damit die beachtlichen wirtschaftlichen Entwicklungen Chinas in der Mao-Ära. Vergessen wird, dass die Teilhabe am Aufstieg Chinas äußerst ungleich verteilt war. Bescheinigte ein Gini-Koeffizient von unter 0,3 China um 1980, eine der gerechtesten Gesellschaften weltweit zu sein, liegt der Wert heutzutage bei etwa 0,5 und zeigt eine größere Ungleichverteilung als beispielsweise in den USA oder Deutschland an. Die Reform- und Öffnungspolitik ist verbunden mit der Zerschlagung der „Eisernen Reisschüssel“, mit Arbeitslosigkeit, Versorgungslücken und fehlender Absicherung.
Gleich an mehreren Stellen wird im Antrag die Entwicklung der Produktivkräfte als die zentrale Aufgabe des Sozialismus bezeichnet. Der Sozialismus müsse „die Produktivkräfte derart vorantreiben, dass die Menschheit die Klassengesellschaft, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, überwinden kann“. Das bedeutet wohl, dass Produktivkräfte – jedenfalls bis zu einem nicht näher definierten Grad – nur mit Ausbeutung entwickelt werden können. Der erfolgreiche sowjetische Weg der nachholenden Entwicklung ohne Ausbeutung wird damit aus unserem Sozialismusverständnis gestrichen.
Entgegen den Behauptungen im Antrag ist festzuhalten, dass sich die Bedeutung des Privatsektors in China immer weiter erhöht hat. Der übergroße Anteil der Bevölkerung arbeitet in privaten Unternehmen. Die Marktwirtschaft macht auch nicht vor den Staatsbetrieben halt. Diese sind ebenfalls dem Konkurrenzprinzip unterworfen und generieren Profit. Auch hier ist die Arbeitskraft eine Ware. Waren Marx, Engels und Lenin noch sehr deutlich darin, dass Sozialismus die Negation der Warenproduktion bedeutet, so bestand auch unter späteren Marktsozialisten noch weitgehend Einigkeit, dass im Sozialismus zumindest die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft sei, die Arbeitskraft eben keine Ware ist.
Werden Waren produziert, wirkt das Wertgesetz, wie vermittelt auch immer. Für die dadurch aufgeworfenen Probleme (zum Beispiel Disproportionen in der Verteilung der Güter und in den Preisen) sind Planungselemente (zum Beispiel Festpreise, planmäßige Verteilung der Produkte und planmäßige Gewichtung der Produktionsabteilungen) oft ganz reale Hindernisse. Das Wertgesetz widerspricht als Regulator der Produktion dem Plan. Die Idee einer harmonischen Vereinbarkeit von Markt und Plan ist eine Illusion. Es ist genau die Illusion, in die sich der staatsmonopolistische Kapitalismus retten will, von dem wir aber doch weiterhin behaupten wollen, dass sein Streben gesetzmäßig scheitern muss.
Die Produktionsweise bezeichnen wir nicht ohne Grund als die Grundlage einer Gesellschaftsordnung. Die Vorstellung, dass sich in China seit über 30 Jahren ein sozialistischer Überbau über einer kapitalistischen Basis erheben könnte, ist nicht mehr als ein haltloser Wunsch. Wenn nun das Konzept der sozialistischen Marktwirtschaft unter dem Deckmantel des eigenen Weges jedes Landes zum Sozialismus in der Partei legitimiert werden soll, muss dies mit aller Klarheit abgelehnt werden.