Auf allen Ebenen werden in Zusammenhang mit der Coronakrise die Rechte der Lohnabhängigen angegriffen. Unter anderem stehen die Arbeitszeiten der Beschäftigten, die die Daseinsvorsorge gewährleisten, im Fokus der Angriffe. So hat Bayern am 17. März eine „Ausnahmebewilligung für Ausnahmen von der täglichen Höchstarbeitszeit, den Ruhepausen und Ruhezeiten sowie der Sonn-und Feiertagsruhe“ bis 30. Juni 2020 erlassen. Die Ausnahmebewilligung gilt für „Arbeitnehmer zur Produktion von existentiellen Gütern und für Dienstleistungen zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge, die im Zusammenhang mit den Folgen der Ausbreitung des Coronavirus anfallen“.
Seit Jahren schon fordert das Kapital, dass das Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen ausgesetzt wird. Nun wurde unter dem Eindruck der Hamsterkäufe der Testballon gestartet und die Ladenöffnungszeiten aufgeweicht. Anstatt das Personal in den Supermärkten besser zu schützen und für längere Erholungspausen zu sorgen, wird es jetzt noch mit Sonn- und Feiertagsarbeit getriezt, zusätzlich zu den eh schon hohen Belastungen durch Bevorratungskäufe, ständiges Regalauffüllen und Pöbelei wegen Einschränkungen bei bestimmten Lebensmitteln. Doch diese Maßnahme kam auch in der Bevölkerung schlecht an, sodass sogar Supermarktbesitzer sich davon distanzierten.
Weniger bekannt wurde, dass die Arbeitszeiten von täglich über acht bis zehn Stunden hinaus verlängert werden können und die Pausenzeiten verkürzt wurden. Die Mindestdauer für die Pausen beträgt nach dem Arbeitszeitgesetz üblicherweise dreißig Minuten bei einer Arbeitszeit von sechs bis neun Stunden und 45 Minuten ab einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden. Jetzt wurden diese Pausen um je 15 Minuten gekürzt, sodass selbst bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden nur noch 30 Minuten Pause zur Verfügung stehen. In der Realität werden wahrscheinlich viele Beschäftigte in diesen Bereichen ohnehin schon länger arbeiten und auch die Pausen nicht einhalten können, weil die Personaldecke viel zu dünn ist, sei es in den Krankenhäusern, Pflegeheimen oder im Einzelhandel.
Auch die Ruhezeiten von elf Stunden zwischen dem Arbeitsende an einem Tag und dem Arbeitsbeginn am kommenden Tag wurde um volle zwei Stunden verkürzt, so dass jetzt schon nach neun Stunden wieder ein Einsatz aufgebrummt werden kann. Mit Wege- und Reproduktionszeiten (Essen, Duschen und ähnliches) bleibt so viel zu wenig Zeit, um sich wirksam zwischen den Arbeitseinsätzen zu erholen. Dies wird nicht nur die Gesundheit massiv angreifen, sondern ist auch aus Arbeitsschutzgründen sowie für Patienten und zu Pflegende brandgefährlich, weil die Konzentration bei der Arbeit entsprechend nachlässt, wenn die Regenerationszeiten zu gering sind.
Es mag sein, dass bei Katastrophen in bestimmten Berufszweigen andere Regeln gelten müssen. Corona wird uns aber über viele Wochen oder Monate in Atem halten und die Bestimmung gilt für dreieinhalb Monate. Über einen so langen Zeitraum sind solche Arbeitsbedingungen nicht durchzuhalten. Die hier dargestellten Maßnahmen treffen viele Beschäftigte, denn sie gelten in der Produktion von existentiellen Gütern und für Dienstleistungen zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge. Treffen wird dies insbesondere Frauen, da sie in diesen Bereichen etwa 70 Prozent der Beschäftigten ausmachen. Ihre Arbeit war seither schon sehr prekär und schlecht bezahlt. Für sie steigt die Belastung enorm, da sie nach wie vor auch noch die Hauptlast der Reproduktionsarbeit tragen und zusätzlich die fehlende Kinderbetreuung und Schulschließung auffangen müssen.
Ausnahmeregelungen können in Einzelfällen sicher notwendig sein. Dann sollen aber die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften darüber entscheiden, weil sie auch die Belastungen kennen und wissen, was noch zumutbar ist und was verkraftet werden kann, ohne die Gesundheit zu schädigen.
Die Landesregierung NRW geht noch einen Schritt weiter und will sogar eine Zwangsverpflichtung von Personen mit Ausbildung in Gesundheits- und Pflegeberufen. ver.di nennt diesen Gesetzentwurf „unverhältnismäßig und verfassungswidrig“ und fordert die Rücknahme. Noch ist dieses Gesetz nicht beschlossen und kann hoffentlich auch noch verhindert werden. Das wäre eine neue Dimension der Entrechtung. Die Rechte der Beschäftigten dürfen nicht geopfert werden. Widerstand ist nötig, damit diese Ausnahmen zurückgenommen und weitere Aushöhlungen verhindert werden.