Zur Jahreswende 2024 rollten wütende Landwirte mit ihren Traktoren durch das Land, Autobahnen und Städte wurden lahmgelegt. Bauern protestierten vor allem gegen die geplanten Kürzungen von Agrarsubventionen zur Haushaltssanierung. Die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) hat auf ihrer Jahrestagung am 12. Oktober unter dem Motto „Bayer und die Bauernfrage – Profite, Proteste und Perspektiven“ versucht, die Proteste einzuordnen. Wir veröffentlichen Auszüge aus dem redaktionell leicht bearbeiteten Vortrag von Jan Pehrke (CBG), der das Verhältnis zwischen Bayer-Konzern und Landwirten beleuchtet.
Betrachtet man die landwirtschaftliche Wertschöpfungskette, stellt man fest, dass die Konzerne Bayer & Co. am Anfang stehen. Sie beliefern die Landwirtinnen und Landwirte mit Saatgut, Pestiziden und Dünger. Damit können die Landwirte, die im Mittelfeld stehen, ihre Felder bestellen und ernten. Am Ende stehen die Nahrungsmittelgrundstoffhändler wie Bunge, Cargill und Dryfus und hierzulande mit Aldi, Lidl, Rewe & Co. die Lebensmittelbranche. Beide Enden dieser Wertschöpfungskette, die Agro- und die Lebensmittelbranche, sind oligopolistisch organisiert – ganz wenige Unternehmen teilen den Markt mehr oder weniger unter sich auf. Sie haben entsprechend viel Macht, ihre Preise durchzudrücken, während die Landwirte wenig Handlungsspielraum haben. Diese Konstellation sorgt mit dafür, die Konzentrationsprozesse in der Landwirtschaftsgebiet zu beschleunigen, um mehr Markmacht zu erhalten. „Wachse oder weiche“ – so wird dieser Prozess in der Regel beschrieben.
Big Agro für Großbauern
Davon ab können Big Player am besten Geschäfte mit Big Playern machen. Bayer & Co. brauchen den industriellen Maßstab im Landwirtschaftsbereich. Die Technologien, die sie entwickeln, sind teuer, vor allem bei der Markteinführung – seien es die Pestizide und die Saatgut-Beize, die Veterinär-Medizin für die Massentierhaltung, die Gentechnik oder die Plattform-Ökonomie der Digitalen Landwirtschaft. Entsprechend brauchen die Agro-Multis Landwirte mit Investitionskraft.
Für dieses heute dominante hochtechnisierte, hoch industrialisierte Landwirtschaftsmodell hat Bayer schon früh die Weichen gestellt. Das Modell „Der Landwirtschaft mit Forschungsergebnissen aus der Chemie zu helfen“ geht bis in das Jahr 1892 zurück. Da brachte der Konzern mit Antinonnin das erste synthetische Anti-Insektenmittel heraus, ein Mittel gegen die Nonnen-Raupe. Peu à peu folgten weitere Agro-Chemikalien. Bereits 1920 richtete Bayer eine eigene Landwirtschaftsabteilung ein, 1924 eröffnete der Konzern in Leverkusen schließlich das „Biologische Institut der Pflanzenschutz-Versuchsabteilung“.
„Das kaufen jetzt alle …“
Die 1988 erschienene Firmen-Chronik „Meilensteine“ hebt besonders die Herausgabe der Werbeschrift „Nachrichten der landwirtschaftlichen Abteilung“ hervor. In den „Meilensteinen“ heißt es dazu: „Diese Schriften fanden schnell Anklang und trugen dazu bei, in weiten Kreisen der Landwirtschaft das Verständnis für Funktion und Durchführung des chemischen Pflanzenschutzes zu wecken und krasse Fehlanwendungen zu vermeiden.“ Das zeigt, dass ziemlich viel Werbeaufwand für die chemie-bewehrte Landwirtschaft betrieben werden musste. Tatsächlich war sie noch bis in die 1960er Jahre hinein nicht überall angekommen. Das geht aus dem Buch „Bauernsterben – Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört“ von Bartholomäus Grill hervor (Siedler, 2023). Darin beschreibt Grill den Niedergang des elterlichen Hofes in Bayern, wo die Pestizide 1960 Einzug erhielten. Der Chef eines Lagerhauses diente sie den Grills an: „Das sind Pflanzenschutzmittel, die kaufen jetzt alle.“ Es folgten Schritt für Schritt auch Kunstdünger, pflegeleichte Ackerfrüchte wie Mais und andere „Errungenschaften“ der modernen Landwirtschaft.
Bayer nutzt Proteste
Bayer setzt auf eine Landwirtschaft im industriellen Maßstab und hielt es immer mit den Kräften, die diese Entwicklung stützen, in der Politik und auf der Verbandsebene. So unterhält der Konzern seit jeher enge Bande zum Deutschen Bauernverband (DBV). Der Vorvorgänger des jetzigen DBV-Präsidenten Joachim Rukwied, Constantin von Heereman, saß einst sogar im Aufsichtsrat des Konzerns. Bayer sponsert die „Deutschen Bauerntage“ und seine Manager nehmen gern an Diskussionsveranstaltungen des Bauernverbandes teil. Karin Guendel Gonzalez, Chefin von Bayer-Crop-Science-Deutschland, sitzt zusammen mit Rukwied im Präsidium des „Forums moderne Landwirtschaft“. Bayer beteiligt sich auch an Aktionen des Bauernverbandes, zum Beispiel gegen die strengere EU-Regulation von Pestiziden. Auch bei den Bauernprotesten Anfang des Jahres unterstützte der Konzern vor allem Forderungen, die sich für weniger Regulierungen aussprachen und dabei nicht zuletzt auch die Pestizid-Reduktionspläne der EU im Auge hatten.
Der Konzern machte nicht zuletzt Druck auf das Umweltbundesamt (UBA). Der Brancheninformationsdienst „Top Agrar“ berichtete über die Kritik von Guendel Gonzalez am UBA. Sie bezeichnete das Amt als „Sorgenkind“ und „Überzeugungstäter“: Selbst nach den Bauernprotesten und dem Scheitern des EU-Verordnungsvorschlags zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln sei im Umweltbundesamt kein Umdenken zu erkennen, kritisierte Guendel Gonzalez. Auch was die EU sonst noch als Reaktion auf die Bauernproteste gemacht hat, war im Sinne des Bayer-Konzerns: die Verschiebung der Verordnung zum Schutz der Regenwälder in den Lieferketten sowie die Aushöhlung des Renaturierungsgesetzes und der Standards für einen „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“.
Für den Konzern sind die Proteste damit in die richtige Richtung gegangen. Für ihn gingen sie auch schon gut los. Die Proteste hatten sich an der geplanten Streichung der Subventionen für Agrardiesel entzündet – nicht gerade ein guter Ausgangspunkt dafür, das agrar-industrielle Modell in Frage zu stellen. Forderungen zum Beispiel nach einer Stärkung der Landwirtinnen und Landwirte in der Wertschöpfungskette oder nach Maßnahmen, um die explodierenden Bodenpreise zu stoppen, wurden von Bayer natürlich nicht unterstützt.
Eine Stimme der Bauern?
Unlängst ist der Konzern Rukwied & Co. mit einer Umfrage – „Farmer Voice“ – zur Hilfe geeilt. Sie sollte den Landwirtinnen und Landwirten eine Stimme geben. „‚Gemeinden, Nationen und die ganze Welt – wir alle sind auf Landwirte und Landwirtinnen angewiesen‘ Das ist die Kernaussage“, so Bayer und weiter: „Ihre Arbeit und die daraus hervorgehenden Ernten sind ein Grundpfeiler der globalen Wirtschaft. Ohne Landwirt*innen gäbe es keine Nahrungsmittel. Ein guter Grund, zuzuhören und in Erfahrung zu bringen, was sie bewegt.“ Die Umfrage war so gestaltet, dass die Bauern sagten, was der Konzern hören wollte. Auf die Frage, was ihnen am meisten nütze, antworteten 41 Prozent der Landwirte „mehr Zugang zu Pflanzenschutz“ und 36 Prozent Zugang zu „mehr Saatgut-Innovationen“. Wenn Bayer bei dem Multiple-Choice-Verfahren nicht „mehr Saatgut-Innovationen“, sondern „mehr Gentechnik“ zur Auswahl angeboten hätte, wäre die Zustimmung höchstwahrscheinlich kleiner ausgefallen.
Darüber hinaus sind der Befragung zufolge die „Bedenken hinsichtlich politischer oder regulatorischer Entscheidungen“ deutlich gestiegen. „91 Prozent der Landwirte sind zudem der Meinung, dass sie mehr Anerkennung verdienen. Das Resümee, das Bayer aus der Umfrage zieht, ist unausgesprochen auch ein Statement zu den Bauernprotesten. Die Bande sollen enger geknüpft werden. Bayer-CropScience-Chef Rodrigo Santos drückt das so aus: „Landwirte wollen für ihren Beitrag zur Gesellschaft anerkannt werden. Wir alle können ihre Arbeit unterstützen, ob wir nun direkt mit ihnen zusammenarbeiten, Gesetze schreiben oder ihre Produkte konsumieren.“ Und zum Abschluss macht er sich noch mal so richtig lieb Kind: „Die Stimme der Landwirte ist wichtig. Angesichts der großen Herausforderungen, die vor uns liegen, müssen wir ihnen weiterhin zuhören und von ihnen lernen.“
Dabei haben die Landwirte gerade bei Bayer & Co. nichts zu melden und müssen nehmen, was Big Agro ihnen vorsetzt, wenn sie nicht auf alternative Anbau-Methoden umsteigen wollen.
Irgendwas mit Umwelt
Laut der „Studie“ bekennt sich auch ein Großteil der Befragten zu Praktiken der „regenerativen Landwirtschaft“. „Regenerative Landwirtschaft“ – das ist jetzt das große Ding bei Bayer. Der Konzern wusste schon immer, was die Stunde geschlagen hat, und reagierte feinfühlig auf die Stimmung in der Öffentlichkeit. So reagierte er prompt auf das Erstarken der Umweltbewegung in den 1970er Jahren. Dazu die „Meilensteine“: „Seit 1972 unterstreicht das grüne Lindenblatt mit der selbstverpflichtenden Aussage ‚Bayer forscht für den Umweltschutz‘ das Versprechen des Unternehmens an die Öffentlichkeit, auf dem Gebiet des Umweltschutzes größtmögliches Engagement zu zeigen.“ Damals war der „Integrierte Pflanzenbau“ das Mittel der Wahl, heute ist es die „regenerative Landwirtschaft“.
Damit bremsen die Agro-Riesen weitergehende Konzepte wie die Agro-Ökologie aus, auf die sie sich nicht einlassen können. Eine feste Bestimmung, was „regenerative Landwirtschaft“ eigentlich ist, gibt es nicht. Das ist natürlich von Vorteil für Bayer. Für den Konzern ist es „irgendwas mit Umwelt“. Er interpretiert es so: „Dieses Konzept definieren wir als ein ergebnisorientiertes Produktionssystem mit dem Ziel, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern, die Einkommen der Landwirte und gleichzeitig die Klima-Resilienz der Landwirtschaft und die Regeneration der Natur.“ So etwas wie die Quadratur des Kreises also.
Der Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste zufolge tauchte der Begriff zuerst 1983 auf, eine genauere Begriffsbestimmung fand sie 2010. Sie lautete: „Als regenerative Landwirtschaft wird ein Ansatz in der Landwirtschaft bezeichnet, der Pestizide und Kunstdünger ablehnt und dabei die Regeneration des Mutterbodens, die Biodiversität und den Kreislauf des Wassers verbessern soll.“ Das geht Bayer & Co. natürlich zu weit. Sie eigneten sich den Begriff erst im Vorfeld der Pariser Klima-Konferenz von 2015 an. Da kam die Landwirtschaft nämlich zum ersten Mal als positiver Akteur in Sachen „Klima“ ins Spiel und nicht mehr nur als großer Verursacher von Kohlendioxid-Emissionen. Die Äcker könnten über den Humus CO2 binden und so als Speicher dienen, hieß es. „Carbon Farming“ war das neue Zauberwort. Bayer stellte von dort an sein Glyphosat als großen Klimaretter dar, weil es das Pflügen unnötig mache, bei dem das im Boden gebundene CO2 freigesetzt werde. Dabei entsteht bei der Produktion des Herbizids am US-Standort Soda Springs enorm viel CO2. Experten beurteilen die Möglichkeiten des sogenannten „Carbon Farming“ dann auch allgemein eher skeptisch und bezeichnen es in Teilen als Greenwashing-Projekt.
Eine vorläufige Bilanz
Die vorläufige Bilanz der Bauernproteste sieht für uns also so aus, dass das agro-industrielle Modell, für das unter anderem Bayer steht, nicht in Frage gestellt ist. Es ist sogar durch die Schwächung der Umweltschutzauflagen auf nationaler und internationaler Ebene stabilisiert worden. Von einer Stärkung der Position von Landwirtinnen und Landwirten in der Wertschöpfungskette ist nichts zu sehen. Auch gibt es auf Landesebene bisher keine Gesetze, die den hohen Bodenpreisen Einhalt gebieten. Als Brosamen hat die Ampelkoalition ein Entlastungspaket verabschiedet, das den Landwirtinnen und Landwirten ein paar Steuererleichterungen bringt.
Wie wichtig eine wirkliche Agrar-Wende wäre, hat der sogenannte „Strategische Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU“ deutlich gemacht, den die alte EU-Kommission als Reaktion auf die Bauernproteste auf den Weg gebracht hat. Er folgte dem Vorbild der deutschen „Zukunftskommission Landwirtschaft“. Der Dialog zwischen Industrie-, Bauern- und Umweltverbänden war 2019 ebenfalls nach Bauernprotesten auf den Weg gebracht worden – auch unter demselben Vorsitzenden Peter Strohschneider. In dem Abschlussdokument heißt es überraschend deutlich: „Es sind dringende, ehrgeizige und durchführbare Maßnahmen auf allen Ebenen erforderlich, um zu gewährleisten, dass der Sektor (…) zum Schutz und zur Wiederherstellung des Klimas, der Ökosysteme und der natürlichen Ressourcen, einschließlich Wasser, Boden, Luft, biologischer Vielfalt und Landschaften, beiträgt.“ Auch eine Stärkung der Landwirte in der Wertschöpfungskette und eine Pestizid-Reduktion werden gefordert.
Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll sich der Fahrplan für die Zukunft der Landwirtschaft an den Ergebnissen dieses „Strategischen Dialogs“ ausrichten. Es steht aber zu befürchten, dass ihm das gleiche Schicksal droht wie dem Abschlussbericht der „Zukunftskommission Landwirtschaft“. Der hatte keinerlei praktische Folgen. Ein erstes Omen für ein sang- und klangloses Verklingen sind die gerade bekanntgewordenen Brüsseler Pläne, die Agrarpolitik auszugliedern und wieder ganz bei den Mitgliedsländern anzusiedeln. Die EU will sich um Wichtigeres kümmern wie die Militär- und Industriepolitik.
Auf die Politik ist also nicht zu hoffen. Um etwas zu bewegen, braucht es den Druck von Umweltverbänden, der bäuerlichen Landwirtschaft und von Verbraucherschutz-Organisationen, zum Beispiel bei der nächsten „Wir haben Agro-Industrie satt“-Demo in Berlin.