Dass der hohe Gaspreis die Konjunktur abwürgt ist Konsens. Aber was dagegen zu tun ist, weniger. Die von der Regierung eingesetzte Expertenkommission „Gas und Wärme“ war sich in einem Punkt einig: Der Gaspreis darf nicht auf Vorkrisenzustand herabsubventioniert werden, damit sich alle Betroffenen an ein wenigstens verfünffachtes Preisniveau (das „New normal“) gewöhnen. Das gebietet die Marktwirtschaft.
Nun hat der EU-Ministerrat gegen den tapferen Widerstand des Bundeskanzlers eine Preisobergrenze für alle Gaslieferanten beschlossen. Der Nachteil: es bleibt unklar, was nun im Einzelnen geschehen soll. Sollen nur Dummheiten unterbunden werden, wie die Anweisung des deutschen Wirtschaftsministers im Frühjahr, die Gaskavernen zu füllen, zu welchem Preis auch immer? Das katapultierte den Gaspreis in lichte Höhen. Oder soll die Anweisung an alle Importeure ergehen, kein Gas mehr ins EU-Reich zu importieren, das, sagen wir, den jetzigen Preis von 14 Cent/kWh übertrifft – also eine Art Einkäuferkartell? Oder soll, drittens, den EU-Mitgliedstaaten lediglich gestattet werden, den Gaspreis für Endverbraucher herunterzusubventionieren? Die Ankündigung von Olaf Scholz, für derartige Zwecke 200 Milliarden Euro locker zu machen, lässt die anderen EU-Länder befürchten, dass Deutschland mit seiner doppelwummsigen Finanzstärke wieder den Markt leerkauft.
Den hohen Strompreis zu deckeln könnte einfacher sein, weil sein Anstieg nicht nur akuter Knappheit geschuldet, sondern Ergebnis der neoliberalen Umgestaltung des Strommarkts ist, der in den 90er und Nullerjahren in der EU durchgezogen wurde. Früher, in der goldenen Zeit des staatsmonopolistischen Kapitalismus, funktionierte die Stromversorgung etwa so: Es gab Gebietsmonopole, in denen große Versorger (Eon, RWE, EnBW und Vattenfall) das Sagen hatten, über abhängige Regionalversorger den Strom verkauften und zum großen Teil selber erzeugten. Der Endpreis für den Strom ergab sich durch eine Mischkalkulation der Erzeugerkosten. Preiserhöhungen wurden formal von Landesregierungen genehmigt, was Platz ließ für stattliche Monopolgewinne.
Dann kam die Zeit der neoliberalen Umgestalter: Lasst uns die Macht der Monopole brechen, E-Netze von der Erzeugung trennen, findigen Händlern die Gelegenheit geben, durch Verkaufstricks („Ökostrom“) Sondergewinne einzustreichen, den Großabnehmern die Möglichkeit geben, noch günstigere Tarife zu verhandeln und billig von Windrädern produzierten Strom durch öffentlich finanzierte Leitungen im ganzen Land zu verteilen. Und: Lasst uns täglich einen gemeinsamen Preis für den Strom an der Börse feststellen. Kilowattstunde ist Kilowattstunde. Es spielt schließlich keine Rolle, wie sie erzeugt wird. Ist zu viel Strom da, fahren die teuersten Erzeuger, meist die Gaskraftwerke, die Stromproduktion herunter oder scheiden ganz aus. Wird Strom knapp und der Preis steigt so hoch, dass Strom aus Gas sich wieder lohnt, werfen sie die Produktion wieder an und die Knappheit verschwindet. Die anderen Stromproduzenten streichen inzwischen die Differentialrente ein – die Differenz zwischen dem Kostpreis des teuersten Produzenten (gleich dem Börsenpreis) und ihrem eigenen. Diese Rente ist dieselbe wie die, wonach nach Marx (und Ricardo) die Grundeigentümer in der Landwirtschaft und heute die Öl- und Rohstoffkonzerne so fett werden.
Leider ist die Knappheit im Jahr des Ukrainekriegs nicht verschwunden und zum unverhofften, aber keineswegs zufälligen Glück der Stromproduzenten ist Gas so teuer geworden, dass besagte Differentialrente in obszöne Höhen gestiegen ist. Natürlich wird der so elegant gestaltete Strommarkt nicht auf der Müllhalde der Wirtschaftsgeschichte landen. Vielmehr wird jetzt an ihm herumgebastelt. Dabei ist die Lösung eigentlich einfach: Stromerzeugung, Stromnetz und Verteilung sind Staatsaufgabe.