Basispapier statt politischer Leitlinie

Von Klaus Wagener, Dortmund

Wir haben in unserem Dortmunder Kreisverband den Leitantrag des Bundesvorstands diskutiert. Die dabei zu Tage getretenen Meinungsdifferenzen waren dergestalt, dass ich mich zu diesem Beitrag gedrängt fühle. Ich fürchte, die Situation in unserer Kreisorganisation ist nicht singulär. (…)

In vielen Teilen, so war jedenfalls der Eindruck hier in Dortmund, wird der Antrag den Bedürfnissen der GenossInnen nach politischer Analyse und Orientierung nicht wirklich gerecht. Grob formuliert: Ihre Probleme kommen im Antrag kaum vor. Es wird über das reale Leben „hinwegtheoretisiert“.

Der Analyseteil

Der Analyseteil A I-III (26–454) versucht eine historische, periodisierende Imperialismusanalyse bis etwa 2010, dazu eine Klassenanalyse und eine Beschreibung der Produktivkraftentwicklung (297–454). Ein reichlich ambitioniertes, dazu nicht gerade auf kollektiver Diskussion fußendes Unterfangen, welches – nach Jahren nur schwach entwickelter Bildungsarbeit – in einem Antrag naturgemäß nur unzureichend machbar ist. Durch den vorgeschalteten Abschnitt, der die „Grundlagen unserer antimonopolistischen Strategie“ gewissermaßen a priori postuliert, drängt sich beim Lesen der Eindruck auf, es wird gegen eine nicht explizit genannte Position, welche eben diese Strategie infrage stellt, argumentiert. Der Analyseteil erscheint dadurch wie eine nachgeschobene Legitimationssschrift. Auch wenn seine Kernaussagen wenig in Zweifel stehen, entsteht dennoch der Eindruck, als solle eher ein Basispapier für die ideologische Festigung, eine Art „Grundsatzerklärung light“ formuliert werden, statt einer politische Leitlinie der Partei zwischen zwei Parteitagen. (…)

Antimonopolistische Strategie

Vielleicht konnte man dem Thema „antimonopolistische Strategie“ nicht ausweichen. Leider ist die Debatte hierzu häufig ein Musterbeispiel politischer Scholastik. Als Robert und Willi dieses Strategiekonzept entwickelten, war die Welt eine andere. Es gab den real existierenden Sozialismus, eine starke sowjetische Armee, ein militärisches, atomares Patt. Es gab starke nationale Befreiungsbewegungen und real existierende, wenn auch reformistische Arbeiterbewegungen in den imperialistischen Staaten. Eine nichtimperialistische Perspektive war auch für Bürgerliche vorstellbar. Das alles ist Geschichte. Der europäische Reformismus hat die Fronten gewechselt und ist zum Vorkämpfer der neoliberalen Gegenreformation geworden. Die marginalisierte Arbeiterbewegung kämpft partielle, strategisch zusammenhanglose Abwehrkämpfe auf häufig verlorenem Posten. Für einen antimonopolistischen Bündnisansatz ins bürgerliche bzw. kleinbürgerliche Lager, so wichtig der wäre, ist auf absehbare Zeit die Geschäftsgrundlage entfallen. (…)

Die Bedeutung der Niederlage

Vor nahezu 30 Jahren hat der Sozialismus, die Arbeiterbewegung, ja die Menschheit insgesamt eine ihrer katastrophalsten Niederlagen hinnehmen müssen. Viele haben diese Phase nicht bewusst miterlebt, vielleicht ihre Bedeutung nicht wirklich realisiert. Es gibt offenbar eine Neigung, die Frage nach unseren Schwierigkeiten und relativen Erfolglosigkeit voluntaristisch zu beantworten. (…)

Wende (730 ff.)

So wichtig es wäre, wenn es den progressiven Kräften, der Arbeiterbewegung gelänge, aus ihrer historischen Defensive herauszukommen – eine Wende, also die Fähigkeit, die Initiative zumindest taktisch zurückerobern zu können, wieder partiell in die Offensive zu kommen, ist weit jenseits der aktuellen Möglichkeiten. (…)

Rolle des Nationalismus als

Spaltungsinstrument im Interesse

der Monopole (598–652)

Der Nationalismus, die „nationale Frage“, ist eines der umstrittensten Themen in der deutschen Linken. Die faschistische Vergangenheit ebenso wie der staatstragende PR-Antifaschismus, ein Kernelement des Narrativs des deutschen Imperialismus zur Wiedererlangung seiner europäischen Vormachtstellung, haben die linken Abwehrreflexe zum Nationalismus zu einem kanonisierten Essential der „Political correctness“ gemacht. Der Abschnitt vermeidet daher wohl auch eine analytische Betrachtung und verlegt sich ziemlich prinzipell argumentierend auf die Funktion, „die Rolle“ der „reaktionären und faschistischen Kräfte“. Wobei „nationaler Nihilismus“ als Unterstützung der imperialistischen Offensive ohne Erläuterung abgelehnt wird. Das kann kaum befriedigen. (…)

Auf dem Weg zum Sozialismus?

(…) Der Untertitel des Leitantrags „Nicht nur die DKP diskutiert über den Weg, diesen Kapitalismus zu überwinden“ suggeriert allerdings eine Lage, die es nicht gibt. Wir sind nicht auf einem wie auch immer gearteten „Weg, den Kapitalismus zu überwinden“. Die dürre Wirklichkeit ist: Der Kapitalismus hat soeben den Sozialismus „überwunden“ und wir, die weltweit Übriggebliebenen, kämpfen ums nackte Überleben.

Die historische Ironie besteht darin, gerade in seiner historischen Niederlage zeigt sich die objektive Notwendigkeit für das Überleben des organisierten Marxismus, einer kampfkräftigen Gegenmacht, einer realistischen Systemalternative. (…)

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"Basispapier statt politischer Leitlinie", UZ vom 1. Dezember 2017



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