n der vergangenen Woche gab es in Sachen Schiene drei höchst erstaunliche Entwicklungen. Ein heftiger Bericht des Bundesrechnungshofs in Sachen Stuttgart 21 wurde publik. Die geplante Teilprivatisierung von zwei Bahntöchtern wurde abgesagt. Der Bundesverkehrsminister entdeckte den frei verfügbaren Betrag von 2,4 Milliarden Euro. Man könnte nun zur Überzeugung gelangen, die Bundesregierung habe ihren neoliberalen Privatisierungskurs aufgegeben und ihr Herz für die Schiene entdeckt. Dass dem nicht so ist, ahnen die Leserin und der Leser – mit Recht.
Bundesrechnungshof und S21
Der Bundesrechnungshof (BRH) hat nach mehr als zweijährigen Recherchen vor knapp zwei Wochen einen brisanten Bericht zum Großprojekt Stuttgart 21 vorgelegt. Inhaltlich geht es dabei um zwei Komplexe: Zum einen um eine ausführliche Darlegung zu den Kosten von S 21. Der BRH stellt dabei fest, dass mehrere
Größere Positionen in den bisher genannten Gesamtkosten nicht enthalten sind. Addiert man diese zu den eingestandenen Kosten von 6,5 Milliarden Euro hinzu, so kommt man auf die stolze Summe von mehr als 10 Milliarden Euro. Stuttgart 21 ist damit das teuerste Infrastrukturprojekt in Deutschland, deutlich teurer als der Berliner Großflughafen. Auch die Kostensteigerungen können es mit denen beim BER oder der Elbphilharmonie aufnehmen: Bei S21-Projektstart 1994 wurden 4,24 Milliarden Gesamtkosten „errechnet“. Damals jedoch Mark. Zum anderen wird in dem Bericht dokumentiert, dass die Bundesregierung die konkrete Verwendung der erheblichen Beträge von jährlich rund vier Milliarden Euro, die an Bundesmitteln für die Schieneninfrastruktur gewährt werden, nicht kontrolliert. Dieses Geld fließt in einen Fonds mit dem Titel „Leistungs- und Finanzierungs-Vereinbarung – LuFV“. Die „Kontrolldefizite“ bei der LuFV, so der BRH, würden „Anreize bieten“, die „Mehrkosten des Projekts Stuttgart 21 über die pauschalen Bundeszuschüsse der LuFV zu finanzieren“.
Und dann gibt es in dem BRH-Bericht doch tatsächlich die Formulierung, wonach die BRH-Prüfer „keine Aussage darüber“ machen wollten, „ob das Projekt Stuttgart 21 abgebrochen oder [ob] weitergebaut werden sollte.“ Was heißt: Die Behörde hält eine solche Frage durchaus für berechtigt. Weswegen jetzt die außerordentliche Aufsichtsratssitzung der DB AG am 17. Oktober mit dem Tagesordnungspunkt „Stuttgart21“ eine außerordentliche Brisanz erhält. Der Sonderzug Stuttgart – Berlin ist für eine angemessene Demo vor dem Bahn-Tower bereits geordert.
Bahnteilprivatisierung und Finanzspritze
Seit mehr als eineinhalb Jahren verfolgt die DB AG das Ziel, bis zu 40 Prozent Anteile ihrer Töchter Arriva (Bus- und Bahnverkehre im Ausland) und Schenker Logistics (ausländische Logistikaktivitäten) zu verkaufen. Genauer gesagt: Es sollen bei diesen Töchtern „Investoren“ an Bord geholt werden. Da diese Töchter es zusammen auf 50 Prozent des addierten Umsatzes des Bahnkonzerns bringen, ist dies mit einem neuen Anlauf zur Bahnprivatisierung gleichzusetzen. Und so sieht es auch die Fachpresse; die „Welt“ spricht gar von einem „Teilbörsengang“ (27.7.). Objektiv gibt es keinen Zwang zu einem derart drastischen Schritt: Die Bahnschulden in Höhe von aktuell 18 Milliarden Euro liegen seit einem Jahrzehnt vergleichbar hoch, wohingegen sich der Umsatz verdoppelte. Auch ein Anstieg der Schulden auf angedacht 22 Milliarden Euro wäre in Zeiten der 1-Prozent-Zins-Darlehen absolut verkraftbar.
Am 21. September kam dann plötzlich die Meldung, die geplante „Teilprivatisierung der beiden Bahntöchter“ sei „vom Tisch“. In der Bundesregierung gebe es nun „grundsätzliche Vorbehalte“. Richtig ist, dass das Projekt zunehmend auf Widerstand stieß: Unter anderem hatte das Bündnis „Bahn für Alle“ öffentlich argumentiert, dass es sich dabei um einen neuen Anlauf zur Bahnprivatisierung handelt. Gleichzeitig mit der Absage der Teilprivatisierung entdeckte Verkehrsminister Alexander Dobrindt das besagte überschüssige Geld. Man werde jetzt der Bahn „eine Finanzspritze in Höhe von 2,4 Milliarden Euro“ gewähren, um „die Schiene zu stärken“.
Natürlich geht es dabei nicht um die Stärkung der Schiene. Vielmehr soll der Bahnkonzern flüssig gehalten werden, um vor allem im Wahljahr 2017 eine fortgesetzte Finanzierung von Stuttgart 21 zu ermöglichen. Wie wild entschlossen der Bahnvorstand ist, Schienenverkehr abzubauen, wird am Beispiel Nachtzugverkehr deutlich. Am 11. Dezember sollen alle Nachtzüge der Deutschen Bahn eingestellt und damit eine mehr als hundertjährige Tradition zerstört und jährlich 2,5 Millionen Fahrgäste auf das Flugzeug verwiesen werden. Der wesentliche Faktor, der die Nachtzüge bislang betriebswirtschaftlich in die roten Zahlen brachte, sind die überhöhten Entgelte, die für die Nutzung der Infrastruktur (der Schienen und Bahnhöfe) an die Bahntöchter DB Netz und DB Station und Service (Bahnhöfe) zu entrichten sind.
Ab Januar 2018 sollen jedoch, so noch nicht öffentlich gemachte Pläne der DB AG, die Trassenentgelte für Nachtzüge deutlich reduziert werden. Man zerstört also jetzt die Nachtzüge, um 12,5 Monate später den ausländischen Bahnen (ÖBB, Russische Staatsbahn), die mit Nachtzügen deutsche Schieneninfrastruktur nutzen, und den nachts verkehrenden normalen Fernverkehrszügen (IC und ICE) Vorteile zu gewähren, die man all die Jahre den eigenen Nachtzügen strikt verweigerte.
Der Bahnvorstand ist ein Schienenverkehrsverhinderungs-Apparat. Was am Beispiel Nachtzüge ebenso deutlich wird wie am Beispiel Stuttgart 21, wo die Kapazität eines seit 100 Jahren tadellos funktionierenden Kopfbahnhofs um mehr als 30 Prozent reduziert und dafür 10 Milliarden Euro „investiert“ werden sollen.