Maysoon Pachachis selbstbewusste Filmbilanz

Bagdad im Nachkrieg

Gut Ding will Weile haben. Das galt besonders für diesen Film, der 2021 entstand und dem unbekannten Filmland Irak endlich einen respektablen Platz auf der Weltkarte gebracht hat. Acht Jahre brauchte die Finanzierung und mehr als ein Dutzend Ko- und ausführende Produzenten aus sieben Ländern, bis Maysoon Pachachis „Our River, Our Sky“ 2022 in die Festivalkinos kam. Der Episoden-Spielfilm der seit Jahren in England lebenden Irakerin sorgte beim Raindance-Festival 2022 in London – einem der wohl bedeutendsten Festivals für den unabhängigen Film – für Aufsehen und wurde für die beste Ensemblebesetzung ausgezeichnet.

Eine Produktionsgeschichte wie diese hinterlässt ihre Spuren. Da hat dieser noch eine Story zu erzählen, jenem ist eine Figur zu blass, einem Dritten fehlen die Stars, und am Ende wächst die Zahl der Episoden auf ein ungutes Maß an. Als Debütantin hätte man der Regisseurin Pachachi sicher ein strafferes Regime in den vermuteten künstlerischen Debatten und somit einen engeren Figurenkanon gewünscht. Doch wer sich nun als Zuschauer auf die verwirrende Verschachtelung der Episoden einlässt, wird durch ein buntes Panorama mal berührender, mal grotesker Szenen belohnt. Szenen aus dem „Nachkrieg“, der den Krieg zuvor endgültig ad absurdum führt. Ohne Effekthascherei, in alltäglich klingenden Dialogen erlaubt der Film uns Einblicke in ein Land, in dem die Illusionen über die erhoffte Befreiung verflogen sind und das Sich-Arrangieren mit dem Trümmeralltag sichtbar Routine geworden ist. Pachachi und ihrer Koautorin Irada Al-Jubori gelingt es, das unvermeidliche Getöse und Gelärm des Krieges auf ein erträgliches Maß zu drosseln, sozusagen wie einen gedämpften Grundton, über dem die von ihm Betroffenen ihre Vorstellungen umso besser darstellen können.

Lose datiert sind die Ereignisse auf eine Woche Ende 2006, in der – drei Jahre nach Kriegsende – die US-Besatzer endlich die Hinrichtung ihres Erzfeindes Saddam Hussein bejubeln. Noch immer beherrscht Kriegslärm die Stadt, führt jeder Weg in Ausgangs- und Straßensperren, sind die Straßen gesäumt mit Leichen. Aber die Menschen haben gelernt, stoisch und ohne lautes Klagen mit ihrem Schicksal zu leben. Da schwankt der junge Haider zwischen pubertierendem Eigensinn und politischem Auftrag, während sein Vater sich um seine Zukunft sorgt. Fahrgäste in einem voll besetzten Bus, die soeben noch MG-Feuer in panische Angst versetzte, entladen ihre Angst nach einer Beruhigung durch den Fahrer sofort in makabre Späße über den eigenen Tod. Manches davon ist dilettantisch wie ein Schülertheater inszeniert, aber die Figuren sind durchweg einfallsreich gewählt und geben dem fast zwei Stunden langen Film viel Farbe und Kraft.

Die überzeugendste Episode handelt von Sara (Darina Al Joundi). Der Krieg und seine Folgen haben der Autorin und Expertin in US-Literatur die Worte geraubt, nun muss sie sich und ihre aufgeweckte Tochter Riima mit Übersetzungen durchbringen. Aber ihr Land verlassen? Für sie wie für viele Mitbewohner der arg gebeutelten Stadt bleibt es eben ihr Land, ihr Fluss. Die von den US-Besatzern genährten Illusionen über die „Befreiung von Saddam“ hat Sara wohl nie gehabt; dieses Wissen hilft ihr, auszuhalten bis zu den Zeiten, von denen die Regisseurin beim Raindance-Festival sprach. Sie bezeichnete ihren Film nämlich als „Erinnerung an alle, die in Bagdad das Jahr 2006 überlebt haben“ und widmete ihn der irakischen Jugend, die sich ihre Zukunft „in einem anderen Kampf erkämpfen müsse“.

Our river … our sky
Regie: Maysoon Pachachi
Im Kino
Die Regisseurin und ihre Hauptdarstellerin begleiten ihren Film auf einer Kinotour durch deutsche Städte, Termine bitte örtlich erfragen.

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"Bagdad im Nachkrieg", UZ vom 7. Juli 2023



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