Größenwahn träumt von Leadership

Baerbocks Salto

Kolumne

Eine Trampolinspringerin sollte es wissen. Am Ende kommt die Landung. Soweit denkt die deutsche Außenministerin aber nicht. Sie genießt den freien Flug im Zeitlupenmodus. Es muss etwas Rauschartiges sein, was sie da oben glauben lässt, der Ukraine-Krieg sei der günstige „transatlantische Moment“, in dem Deutschland mehr Verantwortung für die Neuordnung der Welt übernehmen könne. Geführt vom überseeischen großen Bruder und tonangebend in einer EU, die sich der herübergekabelten „regelbasierten“ Westwertedoktrin befleißigt. 1989 hätte US-Präsident Bush Deutschland das Angebot einer „Partnership in leadership“ unterbreitet, memorierte Baerbock jüngst bei einem Auftritt in der New Yorker New School. Jetzt sei der Moment da, eine solche „Führungspartnerschaft“ einzugehen, und „es obliegt meinem Land innerhalb der Europäischen Union, das maßgeblich (sic!) mit voranzubringen“. Es folgte eine Kaskade apodiktischer Weltbetrachtungen, die die Realität nach ideologischem Gusto modellieren und Baerbocks Eingangsparole „Wir müssen bereit sein, die Welt auch aus dem Blickwinkel von Menschen zu sehen, die unsere Meinung nicht teilen“ ins Reich der Demagogie verweisen.

09 Kolumne koenig hartmut 1331 - Baerbocks Salto - Außenpolitik, Bundesregierung, Imperialismus - Positionen

Also O-Ton: „Der 24. Februar hat unsere Welt … verändert.“ Das geschah bereits im Vorkrieg, als der Westen die globale Sicherheitsarchitektur zerstörte und die Ukraine für einen Stellvertreterkrieg auf ihrem Territorium präparierte. „Wir dachten alle, dass der Krieg nie auf den europäischen Kontinent zurückkehren würde …“ Dabei sahen wir es an jenem Tag, als der Grüne Joseph Fischer deutsche NATO-Bomber jugoslawische Städte zerstören ließ. „Bei der Verhängung von Sanktionen gegen Russland … haben wir entschlossen gehandelt.“ Keine Kakophonie in der EU? Keine Ratlosigkeit, als die antirussischen Strafmaßnahmen auf die europäischen Volkswirtschaften und Haushalte so hart zurückschlugen? In Momenten der Wiedervereinigung hätten „Amerikaner, Europäer und Deutsche geopolitische Umbrüche bewältigt, indem sie transatlantisch zusammengestanden“ seien. Gorbatschow ist der AA-Chefin inzwischen wohl zu russisch? Die Lebenskraft von „Europe matters“ (Europa zählt) stelle Deutschland unter Beweis, indem es ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr auflegt und seine Grundsätze bei Rüstungsexporten revidiert, wobei man wisse, „dass das nicht ausreicht“ (sic!). Wie wäre es mal mit „Peoples matter“ – die Völker zählen? Unser Volk hätte für 100 Milliarden Euro eine dringendere Verwendung. „In Deutschland haben wir die lang gehegte … Überzeugung vom ‚Wandel durch Handel‘ aufgegeben …“ Wer ist wir? Wir, das Volk? Bestimmt nicht! „Deshalb beenden wir unsere Abhängigkeit von russischem Gas und Öl … Innerhalb weniger Wochen haben wir den Anteil der Gasimporte von 55 auf 26 Prozent gesenkt.“ Wer hat wann was warum gesenkt? Die regalbasierte Ordnung „ist keine Ordnung des Westens … Es ist eine Ordnung, die es allen Staaten ermöglicht, zusammenzuarbeiten, ihren Wohlstand zu mehren, friedlich zu koexistieren – und in der kein Staat fürchten muss, dass sein stärkerer Nachbar ihn überfällt“. Da haben wir Vietnam, Irak, Libyen, Syrien, Grenada wohl nur geträumt? Es könne nicht in Deutschlands Interesse liegen, „wenn China in seiner Region übermäßige wirtschaftliche Abhängigkeiten schafft“. Deshalb arbeite man im Auswärtigen Amt erstmals an einer eigenen China-Strategie, die die Überlegungen der USA „umfassend berücksichtigt“. Wer der Ministerin das aufgeschrieben hat, kann kein Volkswirt sein.

Das also ist Baerbocks Salto. Irgendwann kommt die Landung, der Rausch verfliegt. Aber was wird bis dahin von ihr und der grünen Speerspitze im Ampelgewirr angerichtet sein? Der Pfusch der Zauberlehrlinge ruiniert Deutschland. Und kein Meister, der einschreitet.

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"Baerbocks Salto", UZ vom 2. September 2022



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